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Stefan Luchian - Albastrele |
In einem Dorfe, das, von Feldern und Wiesen umgeben, hart an der Landstraße lag, wohnte ein armes Waisenkind. Der Vater des kleinen Mädchens starb schon, als es noch so jung war, daß es sich seines Gesichtes gar nicht mehr erinnern konnte und, was noch schlimmer war, es kannte nicht einmal den Namen seiner Eltern. Die Mutter war nach langer Wanderschaft todkrank mit ihm in jenem Dorfe angekommen, hatte eine Herberge ausgesucht und war noch in derselben Nacht gestorben, ohne sagen zu können, woher sie kam und wie sie hieß. Die Dorfgemeinde hatte gar keine Freude an dem fremden kleinen Kinde und wäre es gern wieder los gewesen. Da aber die eingezogenen Erkundigungen ohne Erfolg blieben, mußte man sich wohl darein schicken, das kleine Ding zu behalten, — es konnte doch nicht hilflos in die Welt hinausgestoßen werden. Der Dorfschulze brachte also Settchen bei einer alten tauben Frau unter, die ihr ärmliches Lager mit ihr teilte und ihr Obdach gab, wo für sie als Entgelt von der Gemeinde im Winter Holz und Kohlen erhielt. Mittags ging das Kind reihum im Dorfe, täglich in ein anderes Haus, um sein Mittagbrot zu empfangen, das nicht immer willig gereicht wurde.
Schon von Anfang an zeigte Settchen ein stilles, zurückhaltendes Wesen; nie trat sie ungerufen in das Haus, welches an der Reihe war, ihr das Mittagsmahl zu reichen, sondern sie setzte sich ruhig auf dessen Schwelle und wartete, bis man sie hineinrief. Auch ganz mäuschenstill war sie, selbst an den Orten, wo man sie freundlich aufnahm; fast schien es, als ob das Wohnen bei der alten Lisbeth, die zu allem, was gesagt ward, nur immer mit dem Kopfe nickte, ihr das Reden ganz verleidet hätte.
Am liebsten ging Settchen in das Haus des Amtmanns, wohin sie jeden Sonntag kommen durfte. Die gute Rosa, des Amtmanns erwachsene Tochter, war stets so freundlich, sie war die einzige auf der Welt, die ihre Hand auf des Kindes braunes Haar legte und leise und sanft darüber hinstrich, wie seine tote Mutter gethan. Dabei füllten sich allemal des kleinen Mädchens Augen mit Thränen, und doch war ihm dabei so wohl zu Mute.
Als Settchen schon einige Monate im Dorfe gewohnt hatte, hörte sie alle Welt von dem nahenden Kirchweihfeste sprechen, und ohne zu wissen, was zu erwarten sei, freute sie sich doch mächtig darauf; es kam ihr vor, als müsse sie dann auch etwas ganz Besonderes erleben! Mit Staunen sah sie, wie jeder schon am Vorabende des Festes sein Haus reinigte und aufs schönste schmückte, wie das ganze Dorf mit grünen Zweigen und Blumenkränzen verziert ward; denn es war mitten im Sommer, und die Wiesen blühten über und über. Als am Morgen des ersehnten Tages alle Glocken das Fest einläuteten, ward dem stillen Kinde so sonntäglich zu Mute, wie noch nie; es war voll Fröhlichkeit ausgestanden, zupfte und zog an seinem armseligen Kleidchen, damit es nett aussehen sollte, und nahm mit großer Zufriedenheit einen Strauß der schönsten Feldblumen hervor, den es gestern Abend gesammelt und sorglich in einen Topf voll Wasser gestellt hatte, um sich heute damit zu putzen.
Das einzige, was Settchen verstand, war, Kränze zu winden; sie war schon öfters mit anderen Kindern zur nahen Stadt geschickt worden, um dort Vergißmeinnichtkranze und Maiblumensträußchen zu verkaufen. Nun machte sie sich einen prächtigen dicken Kranz und setzte ihn auf ihr lockiges Haar. Als sie nun, ganz stolz auf ihren guten Einfall, mit fröhlich erhobenem Köpfchen hinaus auf die Straße trat und sich den andern Kindern näherte, erhoben diese ein gewaltiges Gelächter, und ein paar böse Buben liefen, mit dem Ruf: »Seht einmal, wie sich das Lumpensettchen aufgedonnert hat!« auf sie zu und haschten nach ihrem Kranze. Das schüchterne Settchen, welches sich bisher stets in die Ecken gedrückt hatte und darum noch nie angefochten worden war, ward von heißer Angst ergriffen; sie lief davon, so rasch sie konnte, die Buben aber verfolgten sie — einer warf ihr den Kranz vom Kopfe, der andere faßte ihr Kleid an, und, o weh! der mürbe Stoff riß mitten durch, so daß das einzige Gewand des armen kleinen Mädchens ihm in Fetzen um den Leib hing. Nun ließen freilich die Buben von ihr ab; aber Settchen, außer sich vor Not und Verzweiflung lief weiter, immer weiter vor das Dorf hinaus, bis sie endlich atemlos stehen blieb.
Als sie nun Zeit fand, sich zu besinnen, ergriff sie der höchste Jammer. Wie sah sie aus! Das klägliche Hemdchen schaute überall aus den Lumpen ihres mißhandelten Röckchens hervor, und eine unbestimmte Angst vor Strafe kam noch zu der Scheu, in solchem Zustande vor die geputzten Kirchweihgäste zu treten. Obgleich sie draußen zwischen den Feldern war und kein Mensch weit und breit, zitterte sie doch noch immer vor den Verfolgern, und kein anderer Gedanke kam in dem bangen Herzchen auf, als der, sich zu verstecken, wo niemand sie finden konnte. Vor ihr breitete sich ein weites Kornfeld aus; die hohen, dichtgefüllten Ähren, die der nahen Ernte entgegenreiften, schienen ihr mit den schweren Häuptern zu nicken und zu winken; sie kroch hastig hinein ins Feld, und weder die durch sie geknickten Halme, noch die Sonne beachtend, die glühend niederbrannte, duckte sie sich zur Erde, kauerte sich eng zusammen und schlief bald ein, während ihre Bäckchen noch voll Thränen hingen.
Wer weiß, wie lange sie geschlafen hatte, als nahes und fernes Tönen sie erweckte. In der Kirche des Dorfes läutete es — bim — bam — bum —, der Gottesdienst fing also jetzt an, oder war zu Ende. Aber auch ganz dicht an Settchens Ohren ertönte leises, schwaches Glockengeläute, wie sie gleiches nie gehört hatte. Als sie sich, noch halb schlaftrunken, aufrichtete und um sich sah, erblickte sie so Wunderbares, daß sie atemlos saß, ohne sich zu regen oder den Blick zu verwenden. Dort, wenige Schritte von ihr, mitten durch das Korn, bewegte sich ein seltsamer Zug.
Ein glänzender kleiner Wagen kam eilig daher gefahren, vier Feldmäuse, mit Bandgras angeschirrt, zogen ihn vorwärts, und eine ganz kleine Maus saß als Kutscher vorne auf. Sie trug eine Perücke aus Sommerfädchen und eine stachlichte Kastanienhülse als Hut darauf; ihr Ringelschwänzchen ward gleich einer Peitsche von ihr geschwenkt, und von Zeit zu Zeit that sie einen hellen Pfiff, der das Gespann doppelt munter springen ließ. Der Wagen selbst sah prächtig aus; sein Gehäuse bestand aus einer großen, feurig gefärbten Klatschrose, das Gestell war aus Stengeln von Butterblumen kunstreich geflochten, während die Räder, aus zwei großen Sternblumen bestehend, windesschnell dahinrollten.
In diesem Wagen saß eine kleine Gestalt, die von ferne leibhaftig aussah wie eine Kornblume; als sie aber näher kam, sah man, daß sie nur ein Kornblumenkleid anhatte. Aus den blauen, gezackten Blättern hoben sich Brust und Kopf eines wunderlieblichen kleinen Wesens; sie trug einen Kranz von winzigen goldenen Ähren auf dem Kopfe, und ihre dunkelblauen Äuglein blickten gar heiter umher. Ein zahlreiches Gefolge scharte sich um sie. Alle gingen bescheiden zu Fuß und blieben dem Wagen nur mit Mühe zur Seite. Rechts hüpfte die Schar der Feldblumen, das winzige Kornvergißmeinnicht mit seinem sanften, blaßblauen Gesicht, das kleine Feld-Stiefmütterchen und vor allem die lila Raben, welche, hochnäsig auf jene herabblickend, mit erhobenem Köpfchen und keck hervorstehenden Blätterspitzen einherstolzierten und weit vornehmer drein- blickten als Prinzessin Kornblume selbst. Links gingen mit zimperlichen Schritten die Fräulein Flachsblüten in himmelblauen Kleidern, eine angezogen wie die andere, und dahinter kamen die als etwas langweilig bekannten, gelb aufgeputzten Rapsblüten. In einer kleinen Entfernung folgte eine Schar großer und kleiner Klatschrosen in scharlachroten Röcken, das waren die Hofbedienten. Sie blähten sich nicht wenig und trugen ganz schwer an Sonnenstrahlen, Tau- und Regentropfen, die mitgenommen wurden, um die Tafel zu bestellen.
Der Zug machte eine kleine Schwenkung; um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, wandte Settchen sich um und schrie beinahe laut auf vor Staunen, als sie hinter sich neue, ebenso merkwürdige Gestalten erblickte. Auf einer von unten freien und ebenen Stelle hatten die Kornähren von drei Seiten her ihre Häupter zusammengebogen, so daß eine hohe Wölbung entstand, welche, durch Säulen von einzeln beisammenstehenden Ähren getragen, eine kleine Halle bildete. An der Hinterwand derselben, der freien Seite gegenüber, stand eine Gruppe von Glockenblumen, die ohne Unterlaß läuteten, und nun wußte Settchen auch, woher der Ton gekommen war, der vorhin so sanft mit den Kirchenglocken zusammengeklungen hatte. In der Mitte dieser lustigen Halle war ein kleiner Thron von glänzend geschliffenen Kieselsteinen errichtet, auf dem durch Blätterkissen, mit Blütenstaub gepolstert, zwei Sitze errichtet waren. Vor demselben, dem Eingange zugewendet, stand eine Anzahl von kleinen Rittern in Rüstungen von verschiedener Farbe. Unter ihnen zeichnete sich besonders einer durch edeln Anstand aus; er war etwa zwei Fuß hoch, trug eine zierlich gearbeitete Rüstung von strohgelber Farbe, die wie mattes Gold glänzte, und auf seinem Helme wankte als Busch eine Weizenähre stattlich hin und her. Aus dem Gespräch, das die Ritter miteinander führten, vernahm die kleine Lauscherin, dies sei der Prinz Weizen, der von seinen Vettern, den Fürsten Roggen, Hafer und Gerste, und von den Grafen Flachs, Raps und Hanf umgeben war. Sie unterhielten sich mit vielem Eifer, als plötzlich der Wagen mit Prinzessin Kornblume vor dem Eingange der Halle hielt.
Mit einem Ausruf des Entzückens sprang Prinz Weizen vorwärts, hob die Prinzessin heraus und drückte sie zärtlich an sein Herz, indem er seine Freude aussprach, endlich ihren längst erhofften Besuch zu erhalten. Sie verneigte sich auf das zierlichste und folgte ihm zu dem Throne, wo die Vettern und Unterthanen des Prinzen mit vielen Verbeugungen an sie herantraten; selbst Fürst Roggen, der für gewöhnlich ziemlich derb war, begrüßte sie mit höflichen Worten.
Indessen fuhr die Mäusekutsche von dannen und kam schnurgerade auf die Stelle zu, wo Settchen noch immer ganz atemlos saß und schaute. Sobald die Maus, welche als Kutscher obenan saß, das Kind erblickte, riß sie voll Schrecken den Wagen der Prinzessin auf die Seite, sprang vom Bock herunter und lief laut pfeifend zurück nach der Halle, wo sie in einer Sprache, die Settchen unmöglich verstehen konnte, eine eifrige Anrede an den versammelten Hofstaat hielt. Mit sehr entrüstetem Gesicht erhob sich Prinz Weizen, nahm sich nur gerade so viel Zeit, Prinzessin Kornblume den Arm zu bieten, und kam nun mit großen Schritten und drohender Miene, während sein Helmbusch gewaltig wankte, auf Settchen los, die, zitternd vor Schreck, kein Glied rührte.
»Wie hast Du es wagen können,« donnerte der kleine strohgelbe Prinz mit einem Stimmchen, das nicht lauter war als das Surren eines Käfers, »wie hast Du es wagen können, in mein Reich zu kommen und so viele meiner Unterthanen zu zerstören? Weißt Du auch, daß Du mir mehr als drei Dutzend meiner tüchtigsten Leute umgebracht hast, Du verwünschtes, kleines Menschenkind? Das sollst Du mir aber schwer büßen!«
»Nicht doch.« unterbrach ihn Prinzessin Kornblume, indem sie ihren schönen blauen Körper holdselig vorwärts neigte, »nicht doch, mein Prinz, Sie wissen wohl, daß Sie mir alljährlich am Tage unseres Wiedersehens nach langer Trennung die Erfüllung eines Wunsches zugesagt! Nun, heute bitte ich um Gnade für dies arme kleine Menschenkind, das uns ganz erschrocken ansieht und gewiß nichts Böses hat thun wollen! Nicht wahr, Kleine? Erzähle uns einmal, wie Du eigentlich in meines teuern Herrn und Bräutigams Reich gekommen bist!«
Von Beben und Schluchzen oft unterbrochen, erzählte nun Settchen alle ihre Leiden, nicht bloß die heutigen Schicksale, sondern überhaupt alle Not, die sie in ihrem jungen Leben schon überstanden hatte, und daß sie gar so allein sei und kein Mensch sie lieb hätte auf der ganzen Welt. Davon wurde Prinzessin Kornblumes Herzchen so gerührt, daß ihr eine Menge blauer Thränchen über das Gesicht liefen und sie mit weicher Stimme sprach: »Du armes kleines Menschenkind, Du dauerst mich. Sei jetzt nur ruhig, ich will Dir helfen. Hier, nimm diese Kornblume!« Mit diesen Worten beugte sich die Prinzessin nieder, streifte hurtig ihr Kornblumenkleid ab und stand nun in einem kleinen grünen Unterröckchen da. »Sei nicht bange,« lächelte sie, als Settchen, ganz verlegen darüber, daß sie die schöne Prinzessin ihres Putzes berauben sollte, die Hand nicht nach der dargereichten Blume auszustrecken wagte; »ich habe noch Kleider genug! Nimm getrost diese Blume und bewahre sie gut, Dein Glück wohnt darin, und nun lebe wohl!«
Damit huschte die Prinzessin, die sich doch in ihrem leichten Anzuge etwas verschämt fühlte, an dem Prinzen Weizen vorüber ins hohe Korn. Der Prinz aber warf einen schiefen Blick auf Settchen, murmelte etwas von allzugroßer Leutseligkeit in den Bart und brummte noch im Abgehen: »Nun muß ich vor allem einen Sendboten an die Frau Doktorin Sonne abschicken und sie bitten lassen, daß sie meinen, durch diesen Erdenwurm halb zerknickten Unterthanen wieder auf die Beine hilft!«
Settchen dankte Gott, daß all diese wunderbaren kleinen Gestalten von ihr abgelassen; schnell wie ein Reh schlüpfte sie aus dem Felde und rannte dem Dorfe zu. Inzwischen war mehr Zeit vergangen, als sie gedacht hatte; die Mittagstunde mußte schon vorüber sein; denn dort unter der großen Linde wurde bereits lustig getanzt. Das arme Kind war sehr hungrig, hatte aber nicht das Herz, in ihrem zerlumpten, durch das lange Schlafen im Korn gerade nicht verbesserten Zustande unter all die Leute zu treten. Zu ihrer großen Freude fiel ihr bei, daß heute Sonntag war; sie drückte sich also hinten herum an den Gärten vorbei, huschte in das Haus der tauben Lisbeth, die auch ausgegangen war, wie alle Welt, nahm dort das alte Töpfchen ohne Henkel, worin sie der Alten stets etwas von dem Essen, das ihr gegeben ward, mit heimbrachte, und eilte dem Amtshause zu.
Dort hatte aber niemand Zeit, aus das kleine Mädchen zu achten. Gäste aus der Stadt waren eingetroffen, das Mittagessen war längst vorbei; die Familie hatte das Haus verlassen und die allein zurückgebliebene Magd Arbeit vollauf, so daß Stunde um Stunde verging, ohne daß sie an Settchen dachte. Bei der ersten bescheidenen Bitte Settchens um etwas zu essen, hatte die Magd sie geheißen, ein wenig zu warten; nun wagte die Kleine, ängstlich wie sie war, nicht, an sich zu erinnern, klomm den ersten Treppenabsatz hinauf und setzte sich auf die Schwelle von Rosas Schlafzimmerthür. Schon begann der Abend hereinzudämmern, dem armen kleinen Mädchen ward so weh und schwach zu Mute, — sie dachte an die Kornblume und was für ein Glück wohl darin stecken könnte, an den Prinzen Weizen und an alles Unheil, das sie selbst in seinem Lande angerichtet hatte, die kleinen Gedanken wurden immer unbestimmter, und unversehens schlief sie ein, das Töpfchen und die Blume aus ihrem Schoße.
Spät in der Nacht kam Rosa nach Hause, der Abend war ihr in fröhlicher Gesellschaft bei Spiel und Tanz schnell verflogen, und es war bereits Mitternacht, als sie müde nach ihrem Zimmer ging. Welches Gefühl ergriff sie aber, als sie auf dessen Schwelle das schöne kleine Kind erblickte, welches ihr von Anfang an lieb gewesen und dessen Lockenköpfchen fast auf der Erde ruhte, nur ein Händchen als Unterlage. Inniges Erbarmen füllte das Herz der guten Rosa, — so verlassen, so einsam war also dies arme Waisenkind, daß es nicht einmal des Nachts vermißt und nach ihm gefragt wurde! Mit feuchten Augen hob sie Settchen sanft von der Erde auf, trug sie leise hinein und bettete sie zu sich, ohne die Kornblume, welche sie fest an sich gedrückt hielt, aus ihrem Händchen zu nehmen.
Erstaunt blickte Settchen um sich, als sie am Morgen erwachte; wie sie aber das liebe Gesicht der einzigen, die immer gut gegen sie gewesen war, dicht bei dem ihrigen erblickte, schlang sie die beiden kleinen Arme um Rosas Hals, und ihr erstes Wort war: »Nimm doch die Kornblume da; ich habe sie geschenkt bekommen, damit sie mir Glück bringt, ich will sie aber Dir geben, denn ich habe Dich sehr, sehr lieb!« — Dabei erzählte sie Rosa all ihre Abenteuer; freilich widerfuhr ihr das Herzeleid, daß diese, trotz aller Versicherungen, des festen Glaubens war und blieb, Settchen hätte die ganze Geschichte nur geträumt, als sie im Korne schlief. Rosas Herz ward aber ganz warm bei dem Gedanken, daß ihr das gute kleine Ding das einzige schenken wollte, wovon sie so zuversichtlich Glück erwartete, und ein Wunsch, den das liebe Mädchen schon lange im stillen gehegt, ward hierdurch zum Entschluß. Sie eilte zu ihrem Vater und bat ihn flehentlich, Settchen ganz bei sich behalten und erziehen zu dürfen. Er schlug der guten Tochter selten eine Bitte ab und gewährte auch diesmal ihr Verlangen mit vieler Güte.
Von diesem Tage an blieb Settchen das geliebte und sorgsam gehegte Pflegekind im Amtmannshause. Auch als Rosa, ihre liebe Beschützerin, sich später verheiratete, durfte sie mit ihr ziehen und ist ihr und der Prinzessin Kornblume dankbar geblieben ihr Leben lang.
Aus: Märchenbuch von A. Godin, Carl Flemming Verlag, Glogau, o. J.