Mittwoch, 12. November 2014

Lisbeth Lindemann - Frühlingsnacht

Frühlingsnacht von Lisbeth Lindemann


John William Waterhouse - Mermaid

»Ich verstehe Dich nicht«, sagte die Kröte mit den grossen gelben Augen zu der kleinen Brunnennixe, »ich verstehe Dich nicht. Wir sitzen hier so angenehm kühl und nass und haben es so ausserordentlich gut. Du hättest alle Ursache, sehr zufrieden zu sein. Aber sobald durch die Thürritze oben das dumme, weisse Licht scheint, bist Du nicht mehr zu halten!«
»Es ist herrlich da oben, komm doch mit —«
»Das sollte mir fehlen! Aus dem Herumgegucke und Geseufze kommt nie was Gescheidtes heraus. So was ist unnatürlich. Mit Deiner Nixenhaftigkeit ist’s so schon nicht weit her, sonst hättest Du einen schönen, schillernden Fischschwanz — na, ich will nichts gesagt haben. Aber sollte da mal ein Mensch in die Nähe kommen, wird’s was Schönes geben, das kannst Du mir glauben.«
»Was ist das: ein Mensch?«
»Frag’ den Mond, der wird’s schon wissen!«
Das Nixchen stieg herauf, setzte sich auf den Brunnenrand und sah den Mond so sehnsüchtig und fragend an, dass dieser ganz verliebt wurde und ihre ganze Gestalt liebkosend mit seinen hellsten Strahlen umfing.
»Du armes, kleines, weisses Ding,« sagte er, »musst immer da drunten so allein im Kalten und Dunkeln sitzen! Wie haben es da die Meernixen gut, die so lustig in den Wellen tanzen, und gar die Nixen im Rhein!« Und er erzählte ihr lauter schöne, stille Geschichten; die Bäume und Blüthen lauschten und dufteten schwer und süss.
Das Nixchen seufzte.
»Warum seufzest Du denn?« fragte der Mond.
»Ach — ich — ich weiss nicht. Es ist nur so warm hier oben; das wird’s wohl sein. Das macht mich so beklommen.«
»So — so —« meinte der Mond und machte ein merkwürdiges Gesicht.
Nach einer Weile fing er wieder an: »Mir scheint, Nixchen, Du hast Deinen Beruf verfehlt.«
Sie sah ihn gross verwundert an und verstand ihn nicht.
»Du bist doch viel lieber hier oben, als da unten im Wasser?«
»Ja, ach ja! die Kröte meint auch, das wäre sehr unrecht von mir.«
Der Mond sah sie lange an. »Hm — ja — so wie man’s nimmt« — sagte er.
Sie schwiegen und ringsumher war ein geheimes Leben und Weben, und die Sterne funkelten. —
»Was ist das nur heute —« fing das Nixchen wieder an zu fragen.
»Was denn?«
»Die Bäume und die Blumen schlafen gar nicht ein und es ist doch Nacht?«
»Ja« — sagte der Mond — »aber Frühlingsnacht; da haben sie keine Zeit zum Schlafen, weisst Du.«
»Es ist auch gar zu schön« — flüsterte das Nixchen.
— — — Auf einmal schien dem Mond ein guter Gedanke zu kommen er leuchtete ordentlich auf.
»Was hast Du?« fragte sie.
»Das wirst Du schon seh’n!« und er blinzelte ihr freundlich zu.
Drüben im Gehölz hatte er einen jungen Gesellen bemerkt, mit blondem Haar und verträumten Augen. Der wanderte einsam seines Weges und schaute unverwandt in die glänzende Scheibe.
Der Mond betrachtete ihn genau: »Na, du schaust mich ja auch so fra¬gend an? Soll Dir wohl auch auf allerlei Antwort geben?« Er sah zum Nixchen herunter und lachte heimlich. »Ich glaube, es wird das Beste sein, Ihr fragt und antwortet Euch gegenseitig.« Leise lockte er mit seinen Strahlen den Knaben bis in die Nähe des Brunnens; dann versteckte er sich hinter einer Wolke. — — — —
»Das hab’ ich mir gleich gedacht,« sagte die kluge Kröte.
»Lass’ sie laufen«, grollte der Brunnen; »sie gehörte nie recht zu uns.«
Oben küssten sich Zwei und der Baum streute Blüthen auf sie herab.


Aus: Jugend, Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, 1. Jahrgang, Nr. 13, 1896, S. 206.

Mittwoch, 5. November 2014

Anna Croissant-Rust - Der Storch

Anna Croissant-Rust - Der Storch


Pisanello - Storch


In den Hof eines grauen Hauses, daß in einer rußigen Fabrikstadt stand, fiel eines Tages ein Storch herab. Das Enten- und Hühnervolk, das sich schnatternd und gackernd im Hof herumtrieb, stob erschrocken auseinander und hub ein großes Geschrei an. Als es aber sah, daß der große Vogel mit ausgebreiteten Flügeln regungslos auf dem schmutzigen Grund des Hofes liegen blieb, kamen Huhn und Ente wieder näher, und das Gegacker und Geschnatter begann aufs Neue, nur war es jetzt ein zorniges, entrüstetes.
Was that dieser fremde, weiße Vogel in ihrem Hof? Und da er sich nicht rührte, sondern mit geschlossenen Augen liegen blieb, stocherten sie an ihm herum und begannen auf ihn einzuhacken. Da kam der Herr des Hofes und nahm den selten gesehenen, kranken Vogel mit ins Haus und pflegte ihn. Er hatte eine Schußwunde am Bein, die ihm wohl böswillig im Fluge beigebracht worden war, darum war er in den schmutzigen Hof niedergesunken. Die Wunde heilte wieder, und nachdem ihm die Flügel etwas beschnitten waren, ließ ihn der Herr frei umherlaufen unter dem andern Federvieh. Traurig hinkte der langbeinige, fremde Vogel in dem engen, ummauerten Hof hin und her; nur an einer Seite sah er gegen die Straße, dort war ein Gitter, und Kinder und Erwachsene standen dort und betrachteten ihn, weil sie noch nie solch sonderbares Tier gesehen. Sein Gefieder war schneeweiß gegen das der Enten, glänzend schwarz gesäumt, und Schnabel und Füße leuchteten rot. Voll Neid sahen die dicken Enten und die zornigen Hühner auf den Gast. Sie umkreisten ihn, sie stellten sich in seinen Weg, sie versuchten ihn zu reizen — der Storch bemerkte sie gar nicht. Er stand auf einem Bein und sah zu dem Stückelchen blauen Himmels auf, über das dichte Rauchwolken flogen, und dachte an den Sommer und grüne Wiesen und helle Bäche, an die weite Ebene und seine Freiheit. — So war er denn hier gefangen und mußte werden wie die andern! Wirklich, sein Gefieder wurde schwarz und auch wie das ihre, seine schönen, roten Füße und sein langer, roter Schnabel überzogen sich mit einer dicken Kruste. Er ließ den Kopf hängen und machte einen krummen Rücken wie der Kater. Schön sah er nicht aus, der Storch; die Leute blieben auch nicht mehr stehen, eigentlich war kein so großer Unterschied zwischen ihm und den Enten und Gänsen! Höher war er, ja, höher schon, aber schmutzig war er geworden, wie sie auch. Nur die Kinder blieben ihm treu, drückten die Köpfe gegen das Gitter und schrieen ihm zu:

»Storch, Storch, Schniebelschnabel 

Mit der langen Heugabel, 
Rupf ich Dir a Federl aus, 
Mach’ ich mir a Betterl draus,
Pfeif ich alle Morgen 
Wie die jungen Storchen.« 

Ging er aber auf sie zu, so stoben sie schreiend auseinander und er stelzte traurig wieder weiter. Der ganze Geflügelhof lachte über sein närrisches Gebühren. Warum stand er denn allein und starrte nach dem Himmel? Warum wollte er denn nicht ebenso friedlich in Schlamm und Ruß ruhn und sich in dem kleinen, runden Wasserloch baden wie sie? Warum stieg er denn unter ihnen herum, wie wenn er sie nicht sähe, dieser Ritter von der traurigen Gestalt? Hatte je einer solch entsetzliche Beine und solch langen, dünnen Schnabel gesehen?

Und die Enten sahen auf ihre breiten, soliden Füße und schnatterten mit dem dicken Schnabel darauf los, denn das konnten sie sich leisten. Ob er nur überhaupt reden konnte? Es hatte noch keiner einen Ton von ihm gehört, und die Enten und Hühner verfolgten den traurigen Fremden so lange mit Hieben und Picken und Schlägen mit den Schnäbeln, bis er eines Tages zornig mit den großen Flügeln schlug und laut zu klappern anfing. Zuerst erschraken sie etwas vor seiner lauten, mächtigen Art, dann aber fingen sie an drüber zu lachen. Er konnte ja nicht einmal so hoch fliegen wie die Enten und was er sagte, war solch pudelnärrisches, unverständliches Zeug, daß es schon eine Beleidigung war, daß der Herr ihn überhaupt unter sie zu setzen gewagt!
Der arme Storch probierte daraufhin nicht mehr mit den Flügeln zu schlagen und auch das laute Klappern gewöhnte er sich ab, er klapperte mehr innerlich, das war auch ein guter Ausdruck seiner Sehnsucht. — Im Winter hielt ihn der Herr mehr im Hause; es war eine öde, schreckliche Zeit, aber der Storch merkte, daß sein Fuß sich streckte und seine Flügel wuchsen, und er wartete.
Eines Tages, laue Lüfte wehten und trugen kräftigen Erdgeruch in die dumpfe Stadt, stand der Storch wieder mitten im Hofe unter dem Federvieh, das ihn wie eine lebendige, fortwährende Kränkung ansah. Und plötzlich, wie ihm die Sonne so warm auf den Rücken schien, fing er an, seine Flügel zu schütteln, breitete sie weit aus und brausend flog er über das Gitter, die Dächer, hoch in den hellen Himmel hinein mit dem lauten, fröhlichen Geklapper. Das Federvolk sah ihm starr nach, zuletzt stießen sie aber alle Seufzer der Erleichterung aus, blinzelten sich an und legten sich enggedrängt in den Kot. Es war doch viel schöner, wenn sie unter sich waren!
Die Kinder aber klatschten in die Hände und riefen dem Fremdling jubelnd nach:

»Storch, Storch, Schniebelschnabel 

Mit der langen Heugabel, 
Rupf ich Dir a Federl aus, 
Mach’ ich mir a Betterl draus,
Pfeif ich alle Morgen 
Wie die jungen Storchen.« 

Der Herr stand unter der Hausthür, hielt die Hand vor die Augen und wie er ihn nur mehr als kleinen Punkt weit draußen gewahrte, sagte er wehmütig: »Schade! schade! Man hätte ihm die Flügel mehr beschneiden sollen.«







Richard von Volkmann-Leander - Die künstliche Orgel

Richard von Volkmann-Leander - Die künstliche Orgel. Vor langen, langen Jahren lebte einmal ein sehr geschickter junger Orgelbauer, der ...