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Gustav Klimt -Tod und Leben |
DAS
MÄRCHEN VOM TOD.
Es war zur Zeit, als
die Menschen sich noch nicht balgten und drängten um ein armseliges Fleckchen Erde,
darauf sie stehen könnten, und der Tod noch nicht als Würgengel, sondern als
Freund und in sanfter Lieblichkeit wie der Traumgott sich den müde und ablebig
gewordenen nahte . . .
Da zog der Tod eines
Tages über die Erde, um zu sehen, was zur Sichelmahd gereift sei. Wie ein
schöner freundlicher Königsknabe war er anzuschauen, wie er daherritt. Ein
schwarzer Sammetmantel fiel bauschend von seinen Schultern nieder bis über das
Hinterteil seines Pferdes. Um seine Stirn spannte sich ein schmaler Silberreif.
Das Pferd ging langsam gemächlichen Trott; denn die Zügel ruhten lässig in der
Hand des Reiters.
Das Tagwerk des Todes
war getan. Sorglos blühendes Leben hatte er gesehen, das sich noch nicht nach
seiner Umarmung sehnte. Und einer Allen, die schwer unter der Last ihrer Jahre
keuchte, hatte er mitleidig die Bürde von dem verkrümmten Rücken genommen. Nun
zog er auf seinem Rösslein sinnend des Weges.
In der Ebene, die er
durchquerte, stand ein Haus, stattlich und leuchtend, mit Säulen und breiten
Türbogen, ganz aus weissem Marmor erbaut. Wie Feuersbrunst spiegelte sich die
sinkende Sonne in der glänzenden Fläche, die dem einsamen Reiter zugekehrt war.
Als er dem Hause nahe kam, stürzte lachend und jubelnd eine Kette junger
Menschen aus den Türen und verstellte ihm den Weg. Einer griff dem Pferde in
die Zügel und bedeutete dem ob solcher Aufhaltung erstaunten Fremdling, dass
er, gutwillig oder nicht, absteigen müsse, um im Schlosse der Jugend zu Gast zu
sein. Wenn sie auch die Schönsten und Adligsten des Landes zu ihrem Kreise
zählten, so hätten sie doch nie einen Jüngling von edlerer Anmut gesehen als
ihn.
Kaum widerstrebend liess
der Tod sich entführen, und bald sass er mit den andern epheubekränzt zur Tafel,
der Schönste und Jugendlichste im Ringe erlesener jugendlicher Schönheit, die,
wie alljährlich, im Schloss der Jugend das Dankfest des Frühlings feierte.
In stiller
Fröhlichkeit sass der Tod bei den Menschenkindern. Da fühlte er einen Blick
lange und zehrend auf sich ruhen. Eine der Jungfrauen konnte die Augen nicht
von ihm lassen, so war sie gebannt von seinen schwarzen Augensternen, die ihr
geheimnisvoll und anziehend dünkten wie brunnentiefe Schächte, auf deren Grunde
Edelgestein funkelt. Nach einer Weile erhob sich der Tod und er befahl der
Jungfrau mit seinen Blicken, dass sie ihm folgen musste zur Verschwiegenheit
eines nachtrauschenden Haines. Dort hielt er sie in seinen Armen und herzte und
küsste sie und raunte ihr Worte zu, Liebesworte, herrlich und dunkel wie das
Leuchten seiner Augen.
In dieser Nacht stand
der Tod vor dem Throne Gottes und heischte Urlaub. Er wollte zurück zu dem Menschenkind,
das seine Schwarzaugen so liebte. Da lächelte Gott: »Gut! Fünf Jahre! Dein Amt
mag ruhen unterdessen! Ich gebe dir diesen Urlaub. Fünf Jahre magst du dich
deiner Menschenblume erfreuen. Du magst bei ihr liegen und sie herzen und
küssen wie dichʼs gelüstet. Wenn aber die Frist verstrichen ist, sollst du
selber sie mit einem letzten Kusse töten und sie in meinen Garten bringen.«
Das schien dem Tod
ein preiswerter Handel.
Als der Morgen
graute, stand er vor dem Lager des Mädchens, das er liebte. Er sagte ihr, er
sei ein Königssohn, fern her, vom Aufgang der Sonne; und er hiess sie, sich zu
ihm in den Sattel schwingen und mit ihm reiten in sein Reich. Und sie zog mit
ihm, und nach manchen Tagen kamen sie in ein Land, dessen Thron verwaist war.
Hier herrschte der Tod mit seiner Liebsten fünf selige Jahre lang; ihrem Glück
aber deuchten die Jahre wie der Taumel einer einzigen Liebesnacht.
Als nun die Stunde
nahe war, wo er am eigenen Weibe die Henkerpflicht vollziehen sollte, haderte
der Tod mit Gott um die Erfüllung des Vertrages. Der Ewige aber blieb bei
seinem Willen und er drohte dem Tode mit jenen Strafen, mit denen er Luzifer
samt seiner hochfahrenden Schar gezüchtigt hatte. Da sah der Tod, dass
jegliches Feilschen und Flehen vergeblich sei, und sein Herz tobte und raste in
der Qual der bevorstehenden Abschiedsstunde. Aber er bezwang sich um seines
Weibes willen.
Dann kam der letzte
Tag. Der Tod nahm die geliebte Frau in den Arm und schritt noch einmal mit ihr
hinaus in das lichtatmende Frühlingsland. Er sagte ihr nichts von dem, was
bevorstand. Sie aber war voll Seligkeit, denn sie wusste nicht, dass der Tod es
war, dem sie sich vermählt hatte. So besuchten sie noch einmal alle die Plätze,
über denen Erinnerungen gemeinsamen Glückes träumten. Als sie aber an die Stätte
kamen, wo sie vor Jahren zuerst den Grund ihres Reiches betraten, umarmte der
Tod seine Gattin und küsste sie zum letztenmal, verschmachtend und gierig. Eine
Welle seltsamer Wollust ergoss sich durch ihren Körper, während ihre brechenden
Augen das Bild des geliebten Mannes, das ihr langsam zu entschwinden schien,
festzuhalten suchten. Sanft liess der Tod den erstarrenden Körper
niedergleiten. Dann nahm er die Seele und trug sie, aufschwebend mit starken
Schwingen, die sich von seinem Gewande losfalteten, empor vor Gottes Thron.
Zur Nacht kehrte er
in aller Heimlichkeit in sein Land zurück. Seine Seele war erstarrt in der Qual
des ungeheuren Erlebens. Seine Züge waren fahl und verunstaltet. In seinen Augenwinkeln
hockten Verzweiflung und Hass. Und sein Atem ging von ihm aus wie Gifthauch,
der tötet. Er band sein schnellstes Ross, ausgreifender und flüchtiger als der
Sturmwind, von der Krippe. Und aus der Rüstkammer nahm er das gehässigste und
gierigste seiner Schwerter. Und ehe noch die Sterne am Morgenhimmel verloschen,
stürmte er davon. In wenigen Stunden war sein Königreich nur noch eine
ausgebrannte Sandwüste, so verdorrte alles Leben und zerfiel wie Zunder, wenn
es der Pesthauch seines Mundes traf. Und nun raste er, vom Schmerz verzehrt zum
scheußlichen Gerippe, auf seiner klapperdürren Mähre durch die Länder, und was
ihm über den Weg lief, würgte seine Hand oder frass sein Schwert. Die Menschen
aber zitterten, wenn sie seinen zerfetzten Mantel nur in der Ferne am Himmelsrand
flattern sahen.
Damals begann das
grosse Würgen auf der Erde, und Seuchen, Kriegsgreuel und Uebeltaten häuften
sich.
Aus: Bild und Traum, Gedichte von Peter Hamecher, Wegwalt-Druck Nr. 1, Wegwalt-Werkstatt, Wilhelmshagen, 1911