Mittwoch, 17. November 2010

Eliza Orzeszkowa – Blumenhochzeit

Es war ein Tal, rings eingeschlossen von Hügeln, welche mit leichten, dünn gepflanzten Föhren bestanden waren, und das Tal hatte nur eine Öffnung nach außen, auf die weite Welt, gleichsam ein Tor, durch welches man auf die Felder, Stege und den durch die Ferne getrübten Himmel hinausblicken konnte. Ringsum gekrümmte Wände voller Zacken und Klüfte, überzogen mit einer Bürste von nadelförmigen Stämmen auf blättrigem, gemustertem Grunde. Auf der Talsohle befand sich eine kleine runde Wiese, auf dieser einige verstreute Bäume und Sträucher, eine Menge Gräser und Blumen. Im ganzen ein verborgenes Winkelchen der Welt, still, bescheiden, enge ... Kaum zu glauben, daß da etwas Merkwürdiges vor sich gehen könnte, und doch war dem so.
In einer Juninacht geschah es, in einer heiteren, stillen und dunklen Nacht. Still war die Nacht, denn alle Winde und Windchen schliefen einen tiefen Schlaf; dunkel, denn der Juni, das ist nicht der August, der den nächtlichen Himmel mit einer ungeheueren Menge ungeheuer funkelnder Sterne schmückt. Auch jetzt leuchteten Sterne, aber dünn gesäet und blaß niederschimmernd aus dem fast schwarzen Himmelsgewölbe.
Und bei diesem schwachen Sternenlichte glitzerte etwas wie blasses Gold auf der Wiese. Das waren die weitgeöffneten Augen des Nachtlichtes.
Das Nachtlicht ist freilich nur eine Blume, aber nicht die erste beste; sogar die gelehrten Männer kennen sie und haben ihr den schönklingenden Namen oenoterus biennis gegeben. Alles ringsum schläft, alle Pflanzen haben die Augen zugemacht, die Kronen zusammengefaltet, sogar die Kräuter und die winzigen Gräser schlafen schon, an die Erde geschmiegt, nur das Nachtlicht allein unter den Seinigen wacht, wie immer. Von der Spitze seines Stengels, der so hoch ist, daß er alle an Wuchs überragt, blicken seine Augen gewöhnlich die ganzen Sommernächte hindurch unermüdlich, weit geöffnet, zahlreich und groß. Daher haben ihm einige aus der Menge den Namen Nachtlicht beigelegt, andere nennen es Freudenblume, weil von ihm die goldenen Tropfen der Freude auf den schwarzen Mantel der Nacht niederfallen. Doch heute sehnte sich das sonst schlaflose Nachtlicht noch weniger als gewöhnlich nach dem Schlummer. Mit der ganzen Kraft der Nerven, die seine lanzenförmigen Blätter durchlaufen, dankte es der Mutter Natur für die Gabe der Schlaflosigkeit, denn es war eine wonnige Nacht, eine Nacht des Entzückens und der vorhochzeitlichen Träume. Sobald die Dunkelheit der Nacht dem Lichte des Tages wich, bei Sonnenaufgang, fast in dem Augenblick, da die Schmetterlinge Schwingen bekamen und die Tautropfen zu funkelnden Brillanten wurden, sollte seine Hochzeit stattfinden. Hochzeit? Mit wem? Welche von den Schönheiten der Wiese hatte ein Freier beglückt, den die Natur mit dem höchsten Wuchs und mit einer Menge weiter, heller, ewig wachender Augen ausgestattet hatte? O, es war keine schlechte Wahl, die er getroffen, und er sollte keine unebenbürtige Ehe schließen. Vor einigen Tagen, als seine noch in den Kelchen verhüllten Augen kaum durch ein sich lüftendes Blättlein auf die Welt hinausblickten, sah er, nur einige Schritte entfernt, die Alcea stehen, eine Tochter des mächtigen und weit verbreiteten Geschlechtes der Malven, die ebenso wie er erst die Augen zu öffnen anfing. Er sah und fühlte sofort, daß alle Säfte in seinem Stengel, von der Wurzel bis zur Krone, rascher zu kreisen anfingen, und das Albumin in ihm erharrte, als hätte man ihn in heißes Wasser getaucht. Wenig fehlte und er wäre vor Rührung hingewelkt beim Anblicke der Geliebten, und es rettete ihn nur der Umstand, daß bei diesem Anblicke sein Traubenzucker sich vermehrte und ihn mit gesteigerter Süßigkeit erfüllte.
Ihrem Bewunderer an Wuchs nur wenig nachstehend, ebenso geschmeidig und biegsam wie er, blickte die malve alcea hinter ihren feinen Blättern, denen die tiefen Einschnitte eine wahrhaft aristokratische Zartheit verliehen, auf das Nachtlicht, mit ihren vielen Augen, die ebenso wie bei diesem noch in den Kelchen verhüllt waren, denen man es aber ansehen konnte, daß sie sich bald rosig färben würden. Aus Neugierde und Entzücken lüftete sie, gleich ihm, an jedem Auge ein Blättchen, und so blickten sie beide auf einander im Lichte der Sonne, während ihre Blätter von den Winden gestreichelt wurden, denen in diesem Reiche das Amt der Brautwerber und das der Ceremonienmeister bei allen Hochzeitsfeierlichkeiten zufällt.
Die beiden hätten wohl am liebsten sofort, im ersten Augenblick der Bekanntschaft, mit einander Hochzeit gefeiert, aber die Mutter Natur verweigerte die Einwilligung und befahl den Verliebten, bis zu beiderseitiger Volljährigkeit zu warten. Gestern war endlich dieser Moment gekommen, und bevor der Tag zu Ende ging, als die Sonne, sich im Westen senkend, mit ihren schrägen Strahlen die Spindelbäume, Haselnußsträucher und Farnkräuter einhüllte und die die Erde bedeckenden Föhrennadeln beleuchtete, da fing der Kuckuck an, sich auf eine seltsame, die Aufmerksamkeit herausfordernde Weise bemerkbar zu machen. Das ist freilich auch sonst ein sehr beweglicher und geschwätziger Vogel, aber gestern schien er überhaupt keinen Augenblick Ruhe halten zu wollen; er war überall voll, stieß mit den flatternden Flügeln alle Zweige der Bäume und Sträucher an, so daß die in ihren Nestern sitzenden Stieglitze Zeisige, Finken und Amseln, die sich schon ein wenig zum Schlafengehen rüsteten, neugierig ihre Köpfchen nach diesem großen Gesellen umwandten, in der Erwartung, was wohl daraus werden und was für eine Neuigkeit er ihnen verkünden würde. Denn daß er und kein anderer jegliche Kunde brachte, wenn etwas Wichtiges in der Gegend vorfiel, war männiglich bekannt. Das war seines Amtes und er übte es mit Vorliebe aus, zumal er alle passenden Eigenschaften der Stimme und des Temperamentes besaß. Auch jetzt, nachdem er, um die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, genügend zwischen den Bäumen und Sträuchern herumgeflattert war, blieb er an einem hohen Zweige hängen und rief so laut als möglich: »Ku—ku! Ku—ku!«
Dann fing er an zu lachen, daß es weithin hallte.
Und von den verschiedenen Zweigen, oben und unten, von allen Seiten wandten sich die Köpfchen der Vögel einander zu und fingen an zu zwitschern: »Was? was? was? Wer? wer? wer? Zi! Ziii! Fiu! Fiuu!«
Sie hatten verstanden. Der Kuckuck kündete für den nächsten Morgen einen Hochzeits schmaus an, wozu man einer Musikkapelle bedurfte, einer zahlreichen, fröhlichen Musikkapelle, welche in dem Momente der Trauung aufspielen sollte, just in dem Augenblick, da die goldene Stirn der Sonne aus der rosenroten Morgendämmerung auftauchen wird. »Ein Orchester für morgen!« rief der Kuckuck. »Ein Orchester am Saume des Waldes, am Rande der Wiese, morgen, sobald die Schmetterlinge erwachen und der Tau sich in Brillanten verwandelt.«
Die kleinen Musikanten mitten in den grünen Nadeln und Blättern drehten die Köpfchen und schüttelten die Schnäbelchen zum Zeichen ihrer Bereitwilligkeit.
»Gewiß, gewiß! Warum denn nicht? Sehr gern! Schade nur, daß die Hauptsängerin unter uns nicht da ist. Die Nachtigall ist verstummt. Wäre es etwas zeitlicher, so hätte die gerade das schönste und zärtlichste Hochzeitslied angestimmt. Aber wir werden es auch ohne sie machen. Wir bringen es fertig. Wir werden tun, was in unserer Macht ist.«
Während diese Vereinbarung unter den Vögeln zustande kam, breitete ein Schmetterling, ein schöner, großer Schmetterling seine dunklen, mit Purpur gesprenkelten Flügel aus, die er, an dem Goldkopfe des Jakobskrautes hängend, schon zum Schlaf gefaltet hatte, und wiegte sich sinnend in der Luft. Doch er sann nur eine Weile, denn, obwohl sein Köpfchen im Vergleich zu den Flügeln sehr klein war, begriff er bald, was vorging, und im langsamen, horizontalen Flug segelte er über die Erde dahin. Kaum hatte er eine kurze Strecke zurückgelegt, so umschwärmte ihn schon ein Haufe anderer, kleiner Schmetterlinge, gelber und blauer, blasser und weißer, die aus den Büschen und Gräsern von allen Seiten herbeigeflogen kamen.
Sie umgaben ihren Führer und eine Weile kreisten sie in der Luft, während sie mit den Flügelchen einander anstießen und mit den Fühlern geheimnisvolle Bewegungen ausführten. Doch du alles dauerte nicht lange. Die Schmetterlinge erfuhren bald, was geschehen werde. Und sobald sie es wußten, wußten sie auch schon, was ihnen zu tun oblag, und als hätte der Wind sie zerstreut, zerstoben sie nach allen Seiten und verschwanden in verschiedenen Ecken und Winkeln. Der Führer aber, jener große Schmetterling mit den Purpurtropfen auf den Flügeln, eilte zu dem Goldköpfchen des Jakobskrautes zurück, erhob die Flügel senkrecht, und es dauerte lange, bis er sie zum Schlaf zusammenfaltete. Er dachte an die Aufgabe, die ihm am nächsten Morgen oblag, und das war keine geringe Aufgabe; denn das, was seiner harrte, war der wichtigste Akt bei der Hochzeit eines Blumenpaares.
Wenn nämlich der geeignete Moment kommen würde, würde der Schmetterling seine Flügel ihrer ganzen Breite nach ausdehnen, durch die Luft über die Wiese dahinsegeln, einen Augenblick an der Wimper des Bräutigams verweilen, ihm einen Kuß rauben, und ihn dann auf das Auge der Braut legen. Und diese Tat des großen Schmetterlings würde der eigentliche Vermählungsakt zwischen dem Liebespaar werden, diesen Akt zu vollziehen steht nur dem Schmetterling allein zu, das ist im Reiche der Blumen sein ausschließliches Vorrecht, ebenso wie es des Amtes des Kuckucks ist, jegliche Kunde von dem, was in der Welt vorgeht, zu bringen und zu verbreiten.
Doch nicht genug damit. Nach dem großen Schmetterling, gleich wie unter der Führung eines Feldherrn, würde ein ganzes Heer von kleineren Schmetterlingen ausschwärmen, von gelben, blauen, blassen, weißen Schmetterlingen, sich über die Wiese verstreuen und anfangen Küsse von den Augen der einen Hochzeitsgäste auf die der anderen hinüberzutragen, Küsse, die jedoch ganz verschieden waren von jenem Kuß, den der große Schmetterling der Braut von ihrem Bräutigam brachte. Denn während dieser voller Bedeutung war und den Bund fürs Leben besiegelte, waren diese nur ein leichtes und flatterhaftes Spiel, ein Flirt voller Süßigkeit für den Augenblick, doch im Grunde ohne Dauer, vorübergehend. Während der große Schmetterling die Liebenden miteinander vereinte, teilten die kleineren unter den Gästen sozusagen allerhand Näschereien und Erquickungen aus. Daher kam es, daß die Schmetterlinge, von dem kommenden Morgen träumend, auch nach Sonnenuntergang noch nicht schliefen, sondern mit erhobenen Schwingen an den Blättern der Spindelbäume und der Haselnußstauden, an den schlanken Stengeln der Blumen, an den Knorren der dürren Äste, die auf dem grauen und grünen Moos hingebettet lagen, hingen. Mittlerweile machten sich die Abendwinde viel zu schaffen. Als die Ceremonienmeister der bevorstehenden Feierlichkeit glitten sie über die Wiese, ganz nahe bei der Erde dahin, hüpften, tanzten, luden die Gäste zur Hochzeit, rüsteten den Hochzeitszug. Mit den Einladungen gab es nicht wenig Scherereien. Es waren eine Menge Freunde, Verwandte und Bekannte, doch waren nicht alle gleich wert und achtbar. Es galt zu entscheiden, wen man zum Hochzeitszug und wen man zum Schmaus einladen sollte. Daß man nur ja keinen übersah, keinen beleidigte, andererseits aber auch keinen überflüssigerweise einlud, denn auf der Wiese gab es gemeines Volk in Menge, und es hätte leicht vorkommen können, daß einer von den Niedrigstehenden, einer, der nicht genügend wohlgeboren und wohlerzogen war, beispielsweise die ungeschlachte Klette, das schmutzige Ziegenkraut oder die grobe Distel sich in diese erlesene Gesellschaft einschlich.
Um diese Aufgabe zur Zufriedenheit aller zu lösen, durfte man keine Mühe, Schlauheit und Diplomatie sparen. Doch die Winde, die Ceremonienmeister der Wiese, waren dazu wie geschaffen. Für sie gab es keine angenehmere Beschäftigung, als in der Welt umherschweifen, flüstern, tuscheln, bereden, trennen, verbinden. Auch diesmal wußten sie sich trefflich zu helfen. Kaum war eine halbe Stunde vorüber, die Sonne war noch nicht ganz verschwunden, und schon war alles aufs beste geordnet und in die richtigen Bahnen geleitet. Da waren zunächst die Ehrenjungfrauen und Ehrenkavaliere des Brautpaares. Der Braut würden die beiden nächst ihr schönsten Töchter der Wiese zugetheilt, nämlich gallium mollugo, dem hehren Geschlechte der Rosen verwandt, gekleidet in das schönste weiße Spitzengewand der Welt; und epilobia grandiflora, mit ihrer geschmeidigen Figur, ganz übersäet mit Sternen, wie rein ciselierte Amethyste anzusehen. Dem Bräutigam wurden zugesellt einer mit einem Busch amarantroter Kelche, den der Pöbel freilich nur Siegwurz nennt, den aber die Gelehrten gladiolus heißen, und dann geranium, einer der Reichsten auf der Wiese. Diesen überhäufte nämlich die Mutter Natur, sobald nur seine Zeit gekommen war, mit einer solchen Menge Lilaspitzen, daß er mit ihnen alle jene seiner Genossen beschämen konnte, die man in so übertriebener Weise Holunder nannte.
Außer diesen zwei Paaren wurde nach gründlicher Beratung noch eines zum Ehrendienst um die Neuvermählten geladen. Das war freilich überflüssig, geschah aber aus höheren Rücksichten. Zum dritten Ehrenkavalier wurde also das Sonnenröschen bestallt. Das war allerdings weder ein Freund noch ein Verwandter, überdies klein von Wuchs, etwas krumm und nur mit einem Auge.
Das Auge war freilich hübsch, gelb wie Safran, aber immerhin nur eines. Doch was war zu machen, da das Sonnenröschen trotz seiner Gebrechen nun einmal der Liebling der Sonne war, was schön daraus hervorgeht, daß ihm die Gelehrten, die es doch am besten wissen mußten, den Namen helianthemum beilegten, was von helios kommt, welches Wort in irgend einer der menschlichen Sprachen Sonne bedeutet. Warum diese Gunst einem solchen unansehnlichen und mittelmäßigen Geschöpf zuteil geworden war? Wer mochte dies wissen. Wahrscheinlich dank den Schmeicheleien. Denn das Sonnenröschen besitzt die seltene Fähigkeit, schön zu tun und sich untertänig zu stellen. Gewöhnlich, sobald das herrliche Tagesgestirn aufgeht, kaum daß das Sonnenröschen den Schlaf von sich abgeschüttelt hat, wendet es ihm sein einziges, safrangelbes Auge zu, sperrt es weit auf, daß es ganz rund und flach wird, heftet es unverwandt auf das Antlitz der Sonne und fortab starrt es sie an den ganzen lieben Tag. Wohin immer die Sonne sich wendet, folgt ihr das Röschen unermüdlich, gegen Mittag, wenn die Sonne am höchsten steht, blickt es hinauf, gegen Abend neigt es sich von der Höhe seines Stengels nach Westen. Ein wahres Wunder, daß es bei diesen höfischen Verbeugungen noch das Genick nicht gebrochen hat. Aber nein. Es reckt hochmütig den Nacken und faßt sich in wenig sympathischer Überhebung mit den dünnen Zweiflern bei den Seiten. Weiß es sich ja in der Gunst der mächtigsten Herrin ... Man mußte es also laden und noch dazu ihm ein Ehrenamt übertragen, denn es konnte sonst Zwietracht stiften und irgend ein Unglück, eine Dürre zum Beispiel, oder einen Hagel aus jenen Höhen herabbeschwören, denen es in einemfort sein Auge zuwendet.
Und da dieser hochmütige Schmeichler nun einmal geladen wurde, dürfte man ihm zum Paar nicht etwa das erste beste Blümlein geben, damit er nicht aus verletztem Stolz sich bei seiner Beschützerin beklage. Seine Begleiterin sollte calla palustris sein, welche abseits stehend, zwischen einem Haufen gemeiner Gräser ihren schneeweißen Kelch emporstreckte.
Als Gäste wurden nur wenige Familien eingeladen, aber es waren die verbreitetsten und angesehensten, nämlich alle die vom Klee, ferner die Schwertlilien, die Vergißmeinnicht, die Ehrenpreise mit allen Ästen ihres weitverzweigten Stammbaumes. Das kostete freilich wieder ein wenig Mühe, denn die Ehrenpreise, nämlich einige von ihnen, die von der Wiese, führten seit langem den wütenden Streit mit den Vergißmeinnicht über die Schönheit der Augen, welche bei den Ehrenpreisen von der Wiese bedeutend größer, dagegen bei den Vergißmeinnicht von tieferem und reinerem Blau waren und an den Himmel weit lebhafter gemahnten. Als nun die Wiesenehrenpreise von der Auszeichnung erfuhren, welche den Vergißmeinnicht zuteil werden sollte, nahmen sie zunächst die Einladung mit saurer Miene auf, schützten Unwohlsein infolge der ungewöhnlichen heurigen Kälte vor und verweigerten ihre Teilnahme an der Hochzeitsfeierlichkeit. Doch die schalkhaften Winde fingen an, so begeistert das wundervolle Blau ihrer Augen zu loben und sie so hoch über die ihrer Nebenbuhlerinnen zu erheben, daß die schlimmen Neiderinnen weich wurden und schließlich versprachen, nicht nur auf der Hochzeit zu sein, sondern auch den Hochzeitsteppich mit schönen Arabesken, bestehend aus ihren eigenen blauen Augen, zu schmücken.
Denn ein Hochzeitsteppich mußte natürlich sein, und sogar ein prächtiger. In dem bestimmten Moment sollte ihn der Gundermann ausbreiten und auf das schwellende Grün seiner an der Erde sich krümmenden Ranken sollten die Winde ganze Haufen ihrer weißen Knospen hinstreuen, und die Schote und verschiedene Milchblumen darüber verschiedenfarbige Streifen entfalten. Diesen Teppich sollten andere, von den Winden bestellte Gäste mit mannigfachen schönen Ornamenten zieren. Das Zittergras sollte die Menge seiner feingeschnitzten Glöckchen, die an seinem Wipfel hängen, schütteln, die Pimpinellen und Karotten Hunderte ihrer milchweißen Baldachine entfalten, und die Ranunkeln ihre Lämpchen anzünden, die nicht etwa mit Öl oder gar mit Petroleum, sondern mit reinem Golde gefüllt sind.
Doch damit waren die Vorbereitungen und all die Herrlichkeiten noch nicht zu Ende. In dem Gefolge des Brautpaares mußte sich eine besondere Truppe befinden, deren Aufgabe es war, über die ganze Wiese, die sich in einen prächtigen Tempel verwandelte, eine Fülle von wonnigen Düften zu verbreiten, die so frisch waren, wie die Unschuld der Felder und der Wiesen, und so sanft berauschend, wie echter, durch kein Gift verfälschter Wein. Hierin waren am geschicktesten das schlichte und bescheidene Riechgras, ferner zwei Schwestern Minze, silvestris und arvensis, und auch der Thymian, welcher jedoch, da er nicht direkt auf der Wiese, sondern am Abhang des Hügels wuchs — einem Polster ähnlich, welcher über und über mit Amethysten bestreut ist — anfangs verdrießliche Miene machte und sich weigerte, mit von der Partie zu sein.
»Ich will nicht,« sprach er. »Ich habe meine Düfte nicht für die Blumen der Wiesen. Was gehen mich euere Hochzeiten an? Ich bin von Feld und Wald. Wenn die Kornblume den Rittersporn heiraten wird, dann ...«
Die Winde stutzten. Was war zu machen? Sollte man des kräftigsten und angenehmsten Parfüms entbehren? Nein. Es mußte ein Mittel gefunden werden wider die Laune des Thymian. Sie waren nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Nach einer Weile sagten sie zum Thymian: »Möchtest du dir nicht einmal mit ansehen, wie Raketen aus Flaum in die Luft fliegen?«
»Flaumraketen! Was ist das? Das muß wohl etwas ganz besonderes sein. Möchtet ihr das nicht naher erklären?«
Jene gaben die gewünschte Erklärung.
»Ist dir der Löwenzahn bekannt?«
»Gewiß, gewiß, ganz ordinäres und häßliches Geschöpf.«
»Häßlich, nur nicht zu dieser Jahreszeit. Schon seit einigen Tagen hat er seine, in der Tat ordinären, schmutziggelben Blätter vom Kopfe geschüttelt und dagegen wunderschöne, durchsichtige Kugeln erhalten, aus ungewöhnlich feinem Flaum bestehend. Mutter Natur besitzt eine Menge schönerer und glänzenderer Kleinodien in ihrem Schatz, aber sicher keines, welches feiner gearbeitet wäre. Wenn nun du, Thymian, also dich bereit erklärst, in dem vereinbarten Augenblick deine Rauchfässer zu schwingen, werden wir es so einrichten, daß gleichzeitig die Kugeln des Löwenzahn platzen und der Flaum in Milliarden von Krystallen durch die Luft schießend, den Hochzeitsteppich bedecken wird.«
Der launenhafte Thymian überlegte sich die Sache ein wenig, dann rief er: »Gut also. Da ihr uns für unsere Parfüms solch’ ein Schauspiel bietet — sei’s d’rum. Wir wollen aus ganzer Kraft unsere Rauchfässer schwingen. Aber merkt’s euch wohl, umsonst gibt’s nichts. Die Raketen müssen schon sein und in großer Anzahl.«
»Zu Tausenden!« Die Winde sausten zufrieden davon.
Endlich war alles geordnet, zugerichtet, vorbereitet, wie es schien aufs beste und schönste, als auf einmal, ganz unvermutet, nachdem die Sonne am Himmelsrande verschwunden war, beim Lichte des Abendrots, welches wie eine feurige Lohe durch das dünne Gehölz hindurchschimmerte, ein lauter Streit entbrannte, ein förmlicher Skandal. Die Ranunkeln erklärten entschieden, daß sie gar nicht daran dächten, ihre Lämpchen anzuzünden. Sie hatten freilich im ersten Augenblick eingewilligt, am Ende hatten sie sich jedoch die Sache überlegt in der Erwägung, daß es für sie, die Sprossen des berühmten und weitverbreiteten Stammes ranunculus, sich nicht gezieme, als Dienende im Gefolge des Brautpaares, anstatt unter den Gästen sich zu befinden. Sie waren wohl gerne bereit zu erscheinen, doch nur als Gäste, ihre Lämpchen aber wollten sie hermetisch geschlossen halten und sie nicht auftun, und mochte es die Sonne selber befehlen. Das war eine schlimme Sache. Nun galt es neue Hindernisse zu überwinden. Überdies waren die Widerspenstigen gewöhnliche, aber ganz gewöhnliche Ranunkeln, die in der Familie sogar ein Mitglied hatten, welches sie alle mit Kummer und Schande bedeckte, nämlich die giftige Ranunkel, die man gewöhnlich Spitzbübin, auf Lateinisch ranunculus sceleratus nannte. Das war eine der bösartigsten und häßlichsten Schadenstifterinnen im Reiche der Blumen. Eine Giftmischerin. Und nun stand diese liebe Verwandte abseits, über und über gelb von Neid, rostbedeckt von den schwarzen Absichten, die sie hegte, schielte nach rechts und nach links und streckte ihre hornigen Stengel wie krumme Finger zu den Disteln aus, die ebenfalls ein recht ordinäres Gesindel, aber bedeutend ehrlicher waren. Sicherlich wollte sie diese Kumpane zu irgend einer unlauteren Tat bereden, während ihr unterdessen die mit Rost vermengte Galle durch alle Augen quoll. Was war das also für eine Anmaßung, wenn man selber zu dem gewöhnlichen Volk gerechnet wird und noch dazu solch einen Schädling in der Familie hat; sich unter die vornehmsten Gäste mischen zu wollen! Doch es half nichts. Die goldenen Lämpchen der Ranunkeln waren unentbehrlich. Man mußte also wieder zu diplomatischen Mitteln greifen.
Die Winde seufzten. »Schade,« sagten sie. »Wir haben vernommen, daß die weißen Schmetterlinge sich bereits einen Plan zurechtgelegt hatten, zwischen euch und den Ehrenpreisen mit den saphirblauen Augen Bekanntschaft zu stiften ... Sie dachten nämlich, euch mit ihnen zu verloben. Wenn eines an den Ehrenpreisen just keinen Gefallen fände; könnte man ja unter den entzückenden Vergißmeinnicht wählen ...«
Die Ranunkeln erhoben die Köpfe und flüsterten: »Die Ehrenpreise sind hübsch. Die Vergißmeinnicht sind entzückend. Verlobungen ... Na, ob man sich verlobt oder nicht, ein wenig Flirt könnte keineswegs schaden.«
»Ach ja, der Flirt ist eine recht angenehme Sache,« unterbrachen die Winde. »Aber ihr werdet wohl dazu nicht kommen. Umsonst bekommt man keine Süßigkeiten. Und wenn ihr eure Lämpchen nicht anzündet, wird nichts daraus.«
»Ach nein, ach nein,« riefen die Ranunkeln »bitte, bitte, tut das nicht, raubet uns nicht das angenehmste Vergnügen. Wir sind bereit, alle unsere Lämpchen anzuzünden und sie mit dem reinsten Golde zu füllen, seid schon gut.«
»Seht ihr’s wohl ein!« riefen die Winde stolz. »Man soll sich niemals in Eitelkeit blähen, denn während man dem Ruhme nachjagd, entgeht einem das Glück. Wir verzeihen euch die kindische Widerspenstigkeit, zählen mit Sicherheit auf euere Lämpchen und wollen das den Schmetterlingen verkünden.«
Nachdem sie auf diese Weise den letzten Streit an jenem Abend beigelegt hatten, begaben sich die Winde zur Ruhe, ohne im geringsten darauf zu achten, daß der ranunculus sceleratus noch immer mit den Disteln sein boshaftes Geflüster führte, noch auf das sarkastische und spöttische Gelächter, welches mannigfach aus der Mitte des niederen Volkes, das von der morgigen Feierlichkeit völlig ferngehalten würde und aus solchen Familien bestand, wie die untersetzten Kapuzinerpilze, die ungehobelten Bärendisteln, der steife Beifuß, der Vogelknöterich, von dem es überall voll ist, die Wolfsmilch, der Sauerampfer, das Tollkraut, die Melde und ähnliche. Das war lauter Pöbel. Heute murrte das wohl, stellte sich über das Geringste beleidigt, aber morgen, beim Anblick der Feierlichkeit, würde es die Augen weit aufreißen und mit allen seinen plumpen Händen Beifall klatschen. Die Plebs beneidet wohl die Patrizier, aber beim ersten Zusammentreffen mit ihnen zerfließt sie wie Honig und warme Milch.
Zufrieden mit ihrem Werke, doch erschöpft, betteten sich die Winde auf dem weichen Gras dicht bei der Erde, schliefen sofort fest ein und wurden so still, daß man meinen konnte, sie wären gar nicht vorhanden auf der Welt. Doch außer ihnen genoß keiner eines ruhigen Schlafes in dieser Nacht. Die Vögel machten nur ein Auge zu und öffneten das andere jeden Augenblick, um zu sehen, ob es schon tagte, unter den Schmetterlingen ließ sich jedesmal ein Flügelgeräusch vernehmen, und die Blumen erst ... ach, diese schüttelten von Zeit zu Zeit ihre schläfrigen Köpfchen, bewegten die Blätter und seufzten jedesmal unter dem Schutze der Dunkelheit, so wie man nur aus einer von Sehnsucht und Hoffnung überquellenden Brust seufzt. Wie viele Hoffnungen erweckte der morgende Tag!
Komm, ach komm doch nur geschwind, o schöner Morgen, geliebter Morgen, mit deinen Gesängen, deinen strahlenden Lichtern, deinem prächtigen Schmuck, deinem beseligenden Wetteifer, deinen süßen Küssen ... Tag der Freude, der Liebe und der Glückseligkeit, o komme bald zu uns! Er kam. Sein Nahen verkündeten zunächst bleiche Traumgebilde, die gespensterhaft durch die Dunkelheit irrten und zerschwammen. Es war Licht und doch kein Licht, etwas Vermittelndes zwischen Schwarz und Weiß, graue, lange Fransen, welche wirr vom Himmel herunterhingen, huschten umher zwischen den Bäumen, deren Umrisse sich jetzt schwach abhoben, während die verhüllten Sterne am Himmel immer blasser wurden und verschwanden. Das waren die ersten leisen, matten Herolde der Sonne, die immer größer wurde, von einem bläulichen Weiß durchleuchtet, welches sie umfing und langsam aufsog, während die blasse, durchsichtige Morgendämmerung die Erde mit ihrem gleichmäßigen Licht überflutete. Alles, was auf der Erde wuchs und lebte, verharrte wie gebannt in diesem Lichtscheine, nur droben in den Höhen huschten schweigende Schatten und neblige Gebilde dahin, immer höher und höher schwebend, und verschwanden allmählich, gleich einem sich zusammenfaltenden Mantel, und über den die kleine Wiese umringenden Anhöhen erglänzte endlich die Himmelswölbung, noch blaß, aber klar und rein, ohne ein funkelndes Sternchen und von keinem Nebelstäubchen getrübt.
Die ersten, welche erwachten, waren die Winde. Als Ceremonienmeistern bei der Feierlichkeit lag es ihnen ob, die Ordnung zu überwachen. Doch, müde und träge, erhoben sie sich nicht sogleich, sondern wälzten sich einigemale gähnend auf ihrem Lager. Doch das genügte, um die Braut aufzuwecken, welche erbebte, ihre Blättchen schüttelte, ihr im Schlaf gesenktes Köpfchen erhob und die Rosenäuglein sofort auftat. So pflegen die aus dem Schlaf zu erwachen, denen der junge Tag großen Schmerz oder große Freude bringt. Die malva alcea wurde sofort beim Erwachen von einem Freudenstrahl durchzuckt, denn ihr gegenüber stand, prangend in voller Schönheit, schlank und geschmeidig, der Erwählte ihres Herzens und hatte alle seine klaren Augen auf sie geheftet. Er hatte nicht zu erwachen gebraucht, denn er war nicht eingeschlafen. Aber kaum war seine Geliebte erwacht, als sich schon seine lanzettenförmigen Blätter zu ihr ausstreckten, und während sich sein Haupt in einer Verbeugung voll ritterlicher und zärtlicher Galanterie senkte, flüsterte er: »Guten Morgen, mein Liebling!«
Sie aber antwortete nicht ihre Wimpern bebten nur und die Blätter, wie die Hände einer bescheidenen Jungfrau, falteten sich zusammen. An ihrer Stelle antwortete ihm eine ältliche, etwas heisere Stimme: »Guten Morgen, lieber Schwiegersohn! Ich will hoffen, daß ich an Dir keine Enttäuschung erleben werde, daß Du meine Tochter nicht tyrannisieren und mich nicht zwingen wirst, die Zahl der sogenannten bösen Schwiegermütter um eine zu vermehren.«
Die das sprach, war die Mutter der Braut, eine etwas ältliche, weil bereits zweijährige Malve mit untersetzter Figur und verblaßten Augen, die nur hie und da noch ihre dickgewordenen Glieder zierten.
»Guten Morgen, liebe Freundin!« grüßen mit jungen frischen Stimmen die Brautjungfern, epilobia grandiflora und gallium, die Braut. »Wie hast Du diese Nacht geschlafen? Scheint nicht besonders gut, denn Deine Augen sind blaß und die Hautfarbe nicht frisch.«
Sie logen. Die Braut sah frisch und bezaubernd aus, nur jene wollten sie aus Neid kränken und einschüchtern, während sie zum Scheine taten, als freuten sie sich über ihr Glück.
Die Ehrekavaliere des Bräutigams waren aufrichtiger und herzlicher. Das Glück des Freundes neideten sie ihm nicht, vielleicht weil es in ihrer Macht lag, sich davon zu verschaffen, so viel sie wollten. Der gladiolus legte seine Amarantglöckchen an den Kopf des Bräutigams und flüsterte ihm von süßen, fröhlichen Hoffnungen, und geranium schüttelte munter seine unzähligen, lilienweißen Spitzen aus Freude über das Glück seines Freundes, während er zum gallium schmachtend hinüberlächelte, welches inzwischen sein schönes Kleidchen weit ausbreitete, daß die Schleppe eine Menge Gräser bedeckte und den Klee, die Vergißmeinnicht und die Ehrenpreise berührte, welche davon erwachten und flüsterten: »Schon? Ist es schon Tag? Wird die Hochzeit bald sein? Ist die Sonne schon erschienen?«
Als Antwort erscholl der brausende Ruf der Winde: »Das Morgenrot! Das Morgenrot! Das Morgenrot!«
Diese Siebenschläfer hatten sich endlich aufgerafft, schwangen sich empor, sausten hin und her und raunten: »Steht auf! Zieht euere Festgewänder an! Haltet euch bereit! Geschwind! Geschwind! Nicht gezögert! Das Morgenrot kommt, das Morgenrot kommt!«
Dies flüsternd, flogen sie hurtig, mit einem Wehen, so frisch, wie der Sommermorgen, nach dem Walde, und sofort ließ sich das Knistern geschüttelter Zweige vernehmen, das Flattern sich regender Schwingen, und ein kurzes, noch schläfriges Zwitschern einer Menge von Stimmchen: »Was? was? was? Ist der Mooorgen schon da? Ohoho! Wie hell ist es in der Welt! Hell! So hell! Fiu, fiu, fiuu! Wir haben verschlaaafen. Laßt uns aufstehen, aufstehen, aufstehen!«
Dort wo die Hügel auseinandertraten und ein Tor auf die Felder und den Feldweg eröffneten, sah man den fernen, fernen Himmel, und auf dem Himmel, der blaß und weiß war, erschien zuerst ein schmaler, blaßroter Streifen, der immer breiter wurde und sich tiefer färbte, bis er aussah, wie aus lauter Rosenblättern bestehend.
Jetzt entstand in dem Tal zwischen den mit dünnem Föhrengehölz bestandenen Hügeln eine Bewegung und ein lebhaftes Treiben. An allen Bäumen und Büschen erglänzen unzählige kleine Vogelaugenpaare, viele befiederte Köpfchen wandten sich nach allen Seiten um und viele bewegliche Schnäbelchen ließen kurze, in allen Tonarten sich wiederholende Laute vernehmen, die klangen, wie wenn viele Instrumente auf einmal gestimmt werden. Die Kapelle der Waldsänger probierte das herrliche Hochzeitslied, welches bald, bald erklingen sollte. Von dem höchsten Punkte des höchsten Baumes im Walde ließ der Kuckuck ein lautes Triumphgeschrei ertönen: »Sie geht, sie geht! Sie ist schon nahe, schon nahe!«
Aus großer Freude stimmte er ein tolles Lachen an: »Kokokokoko! Kuku!«
Und sofort wußten alle, wer es war, der ging und immer näher kam. Es war die Königin, die Herrscherin, die Lichtspenderin, die Ernährerin und Wohltäterin alles dessen, was da lebte, die Sonne.
Erst jetzt erwachte der dritte Ehrenkavalier, das Sonnenröschen, schüttelte sich, gähnte, machte sein großes gelbes Auge auf und wandte es gegen Osten, während er mit Unruhe des echten Höflings flüsterte: »Die Sonne! Schon? Wo ist sie denn? Ich sehe sie nicht. Aber die schöne Aurora ist schon erschienen. Sei mir gegrüßt, Du schöne Aurora, Du erste unter den Ehrendamen unserer Königin, und sage mir, ob sie gesund und heiter ihr Lager verlassen hat. Und Du selber, Aurora, wie schön und blühend Du aussiehst! Wenn ich Dich ansehe.
Und so weiter, und so weiter. Der unermüdliche Schmeichler erschöpfte sich in Bücklingen und höfischen Komplimenten, und merkte nicht, daß seine schöne Dame, die calla, hinter einem Busch von Grashalmen schon ihren weißen Kelch ausstreckte, indes die Ehrenpreise, ihrem Versprechen getreu, rasch eine saphirblaue Arabeske über den Hochzeitsteppich hinwarfen, den der Gundermann zu den Füßen des Brautpaares ausbreitete, während die Winde ihre Rosenkelche und die Schote ihre bunten Streifen über ihn ausstreuten. Auch das gemeine Volk war inzwischen erwacht und riß weit die Augen auf und fing an, sich drängend und stoßend, die Vorbereitung zu der Festlichkeit anzustaunen. Doch die beiden Helden des Tages, denen zuliebe allein all der frohe Lärm stattfand, schienen nichts von dem, was vorging, zu merken, sie vergaßen sogar die Herrlichkeit ihrer Abstammung und ihren hohen Rang in der Welt. Hätte man dem Nachtlicht gesagt, es werde eine Distel werden, es hätte wohl zur Antwort gegeben: »Gut, wenn ich nur das Herz der Malve weiterhin besitze«; und die Malve würde keinen Augenklick gezögert haben, sich in einen Kapuzinerpilz zu verwandeln, wenn sie nur sicher gewesen wäre, die Liebe ihres Erkorenen nicht zu verlieren. Seine hellen goldenen Augen hingen an ihren Wimpern, an deren immer tiefer werdendem Rosarot Feuchtigkeit emporzuquellen anfing. Als die Umstehenden das junge Paar sahen, das so zärtlich in einander verliebt war, verspürten sie ebenfalls Tränen in den Augen. Alle Vergißmeinnicht und Ehrenpreise, alle Kelche des gladiolus, alle Spitzen des geranium, alle Sternchen der epilobia bedeckten sich reichlich mit zitternden Tropfen, zitternde Tropfen erschienen an dem schneeweißen Becher der calla, und das Spitzenkleid des gallium wurde von ihnen beinahe ganz feucht. Sogar das niedere Volk fing an zu weinen. Der Sauerampfer, auch sonst zum Weinen geneigt, überfloß von Tränen, die Wolfsmilch ließ vor grosser Rührung das nasse Haupt auf die Brust eines untersetzten Pilzes sinken. Sogar der ranunculus sceleratus weinte zusammen mit den Disteln, seinen Kumpanen, aber die taten es aus Wut. Nur das Sonnenröschen dachte nicht daran, zu weinen. Klein, etwas krumm, wie es war, stemmte es sich keck in die Seiten, heftete sein einziges, gelbes Auge auf das Morgenrot und erwartete die Sonne.
Es brauchte nicht lange zu warten. Das Morgenrot breitete seine Rosenfinger weit über den Himmel aus und in diesem Augenblick ließ der Kuckuck auf dem Wipfel des Baumes einen Schrei ertönen: »Ku ...!« und brach ab.
Vor Freude und festlicher Rührung stockte seine Stimme in der Kehle. Dann — geschah etwas; was keine Sprache zu schildern und keine Feder zu beschreiben vermag. Es war dies ein ungeheueres Brio von Tönen, Farben, Düften und einem Glanz, in dem alles untertauchte, strahlte; duftete und sang ...
Über dem Rand des Morgenrots zeigte die Sonne ihre goldene Stirn und sandte in die Welt hinaus eine Fülle von Strahlen, die sich in den Tränen der Blumen spiegelten und sie in Perlen und Brillanten verwandelten. Da aber die Blumen vor freudiger und zärtlicher Rührung über und über mit Tränen bedeckt waren, so gab es ein Leuchten und Funkeln und Schillern, als hätte man die märchenhaften Schätze von Golkonda über den Teppich zu den Füßen des Brautpaares hingestreut. Sofort wölbten die Pimpinellen und Karotten, so hoch sie konnten, Ihre weißen Baldachine; die auf silbernen Stäbchen ausgespannt waren, die Ranunkeln erhellten ihre zahllosen goldenen Lämpchen, das Zittergras ließ seine krystallhellen Glöckchen erklingen, das Riechgras, die beiden Schwestern Minze, der Thymian am Rande des Waldes fingen an, ihre Rauchfässer aus ganzer Kraft zu schwingen und verbreiteten süße und berauschende Düfte. In diese Düfte hinein, durch die von der Sonne immer mehr erhitzte Luft ertönten die Klänge der Kapelle, welche vom Waldessaum her eine lautschallende, sehr komplizierte und tiefe, aber zugleich lyrische und herzergreifende Musik herübersandte. Das war das Hochzeitslied, dessen Hauptmotiv von dem größten Tonsetzer im Reiche der Vögel, von der Nachtigall selber, herrührte und von dem Stieglitz und dem Zeisig kunstvoll entwickelt wurde, während der Wiedehopf und die Taube mit ihren tiefen Baßtönen: »Hu—hu! hu—hu!« jedesmal einfielen, der Fink in die Kastagnetten schlug und die Amsel solche feine und reine Flageolettöne ausführte, daß so mancher Meister der Violine sie beneidet hatte. Diese rauschende Musik, die in einer unermeßlichen Fülle von Trillern, Akkorden und Passagen über die Wiese dahinfloß, mit der bezaubernden Melodie als Grundton, erschütterte so sehr die Nerven des Löwenzahns, daß so mancher von dieser Familie den richtigen Moment nicht abwartete und die Raketen von leichtem Flaum in die Luft emporschleuderte. Als der Thymian dies sah, fing er an, sein amethystblaues Rauchfaß noch kräftiger zu schwingen, während die Winde, aus Freude darüber, daß alles so schön gelungen war, flotte Solotänze in den Lüften aufzuführen begannen. Doch unterbrachen sie das Spiel sofort und hielten wie gebannt inne, trotz ihres ganzen Leichtsinns von dem Ernst des Augenblicks gebannt. Denn siehe, vom Walde her, mitten durch die dünngepflanzten Föhren, kam der große Schmetterling herbeigesegelt, die mit Purpur gesprenkelten Flügel weit ausbreitend und in schwerem, ernstem Flug in der Luft sich wiegend. Er flog zu dem Brautpaar, zu dem Bräutigam zunächt, der alle seine klaren, großen Augen dem Schmetterling zuwandte und jetzt aussah wie ein Ritter ohne Furcht und Tadel, dem es vor nichts in der Welt bangt, weil er weiß, was er will und nur von den edelsten, reinsten Absichten beseelt ist. Die Braut fing an, an allen Blättern zu beben und in ihren Rosenaugen leuchteten Tränen, während ihre Mutter, die bejahrte Malve, so laut und erschütternd zu schluchzen begann, daß alle, die Brautjungfern und die Ehrenkavaliere, die Gäste und das gemeine Volk sogar, in Tränen ausbrachen, daß die ganze Wiese wie von Brillanten erglänzte. Die Musik hallte immer lauter und ergreifender, der Löwezahn hatte bereits alle seine Raketen in die Luft geschossen, die Lämpchen der Ranunkeln leuchteten förmlich blendend, die Düfte wurden immer süßer und berauschender, und der große Schmetterling schwebte durch die Luft, langsam, schwer, schwebte zu dem Brautpaare hin, gefolgt von einem beweglichen, kreisenden Schwarm kleinerer Schmetterlinge, leichter, gelber, blauer, weißer Genossen ...
Jetzt geschah etwas ... Schreckliches.
Der Kuckuck, welcher von der Spitze des Baumes der Feierlichkeit zusah und zugleich in die Welt hinauslugte, schrie plötzlich mit entsetzter Stimme: Ku! ....«
Und gleich brach er ab. Vor Angst und Schrecken stockte sein Atem in der Brust. Er bot jedoch seine ganze Kraft auf und fing an schreien mit einer Macht, daß er die ganze Kapelle übertönte, mit einem solchen Entsetzen, daß alles, was lebte, erschrak, ohne Takt und Rhythmus, wie rasend: »Kukukukukuku! ...«
»Was? was?« schrien alle Blumen und Winde auf einmal, die Schmetterlingschar blieb reglos in der Luft hängen und nur die Musikanten, welche in ihrem Eifer alles überhörten, musicierten weiter.
Der Kuckuck schrie von seinem erhöhten Standort: »Der Tod geht! Der Tod geht! Der Tod geht!«
Der Tod? Was für ein Tod? Was ist das Tod? Wozu? Für wen? Warum? Zur Hochzeitsfeier kommt der Tod? Kommt jetzt, in diesem Augenblick, da es in der Welt so hell, so schön, so fröhlich, so selig ist? Das kann nicht sein. Das ist eine falsche Nachricht. Der Kuckuck lügt! Nieder mit ihm! Er hat die Freude gestört, er hat sein Amt mißbraucht, das schöne Spiel verdorben! Nieder mit ihm!
Jetzt hallte durch die Wiese ein giftiges, höhnisches Lachen, das beinahe satanisch klang und von den mit dem Rost des Neides befleckten Lippen des ranunculus sceleratus kam, der alle seine krummen Finger nach der Öffnung des Tales ausstreckte, wie auf etwas weisend, was keiner bemerkte. Er allein sah das, was der Kuckuck ankündigte, er wußte, daß er bald sterben mußte, aber er lachte aus höllischer Freude, daß mit ihm zugleich alle die Anderen sterben müßten, die es gut in der Welt hatten und die er darob haßte. Während er auf die Öffnung hinwies, rief er mit einer vom Gelächter unterbrochenen Stimme:
»Seht! Dorthin seht! Cha, cha, cha! Das sind euere Liebeshändel und Hochzeiten. Dauerhaft, sicher, ewig, nicht wahr? Das sind euere Mühen, Bestrebungen, Kämpfe und Streitigkeiten, du ist das Ende euerer Freuden, eueres Jauchzens und Frohlockens. Bums, und hin ist es! Bums, und alles ist vorbei! Cha, cha, cha!«
Alles, was in wunderbaren Farben auf der Wiese blühte, im Brillantenschmuck leuchtete, seine kunstvollen Spitzengewebe entfaltete, alles, was duftete, liebte, sich des Lebens freute, wandte die Blicke nach der angegebenen Richtung und flüsterte mit ersterbenden Lippen: »Der Tod!«
In der Öffnung des Tals, welche sich wie ein Tor auf die Felder und Stege auftat, stand ein Bauer im weißen Hemde, mit nackten Füßen, und über der zerknüllten Mütze, welche seinen Kopf bedeckte, hoch oben in der Luft blinkte mit scharfem und kaltem Strahl eine Sense.
— — — — — — — — — — —


Einige Minuten später war von all den Gesängen der Vogelkapelle kein Ton mehr in der Luft geblieben. Tiefes Schweigen herrschte. Nur der Kuckuck ließ weit, weit oben in den Höhen wehmütige Töne vernehmen. Die Winde umarmten das Waldmoos und schluchzten leise. Und im Tal, zwischen den Hügeln, mitten in dem tiefen Schweigen der Luft und der Erde, klang nur noch die Sense allein dumpf und düster: »Tschach—tschach. Tschach—tschach!«


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