Sonntag, 12. September 2010

Johanna Siebel - Einmal klopfte das Glück an ihr Fenster (Parabel)

Edgar Germain Hilaire Degas - Tänzerin mit Blumenstrauß
Einmal klopfte das Glück an ihr Fenster und schaute sie an mit tiefen strahlenden Augen und der holde Mund lächelte in süßer geheimnisvoller Verheißung und die schlanken Hände winkten. Winkten ihr, die in einem lichtlosen Winkel saß und mit großen staunenden Blicken das Wunder anstarrte, das Glück, das bei ihr Einlaß begehrte.
Da aber ihre Seele vom dumpfen Druck langer Jahre stumpf geworden und ihr Geist sich zerrieben im quälenden Warten der leeren Zeit, so dauerte es eine kleine Weile, bis die sonnenentwöhnten Sinne das hohe Wunder zu fassen vermochten. Und wie ihrem blöden ungläubigen Verstande das Verstehen dämmerte, daß dort, an ihrer armen Kammer das Glück bereit stehe für sie, und wie sie nun die geschlagenen Glieder scheu und mühsam aus dem dunkeln Winkel erhob und die Arme in einem plötzlich überheiß gewordenen Hunger der Lichterscheinung entgegendehnte, wie sie mit zitternden Händen den Riegel schob, um der heischenden Seligkeit Einlaß zu verschaffen, und mit einem wirren Entzücken stammelte: "Komm! komm! ich wartete auf Dich in Marter und Sehnsucht, ich darbte nach dir, so lange ich denke; die Not war groß!" siehe! da war das Glück verschwunden von dem Fenster, an welches es Einlaß begehrend gepocht.
Glück auf seinem goldenen strahlenden Siegeszuge ist nicht gewöhnt, auch nur eine kleine Zeit zu harren, bis man ihm aufmacht.

Aus: Johanna Siebel, Parabeln und Gedichte, Verlag von Josef Singer, Straßburg, 1906
Bald komplett auf ngiyaw eBooks

Freitag, 10. September 2010

Paula Dehmel - Vom Nacktspielen

August Malmström - Tanzende Feen


Gestern freute ich mich sehr. Förster Fröhlich kam mit Erich und Marie zu Besuch. Erst gabs Kaffee mit frischen Waffeln, dann spielten wir Versteck auf dem Hof und Brückenmännchen; das war lustig.

Nachher gingen wir auf die Wiese und machten Kränze aus Gänseblümchen und lange Ketten von Nußblättern; damit putzten wir unsre Haare und Kleider. Aber ich sagte: Wißt ihr was? das Spiel muß viel hübscher sein, wenn wir nackend sind. Und wir liefen hinter das Gartenhaus, wo uns niemand sehn konnte, und zogen uns aus.

Unsre Kränze hingen wir uns um den Hals und um die Schultern, und dann faßten wir uns an und gingen in der Sonne spazieren. Wir spielten alte Griechen. Erich war der Prinz Paris und sollte der Schönsten einen Apfel schenken. Er fand uns aber alle beide am schönsten und aß den Apfel selber auf; da mußten wir sehr lachen.

Plötzlich kam meine Mutter. Sie sah ganz erschrocken und zornig aus. Schämt ihr euch denn nicht, ihr großen Kinder, sagte sie; sofort zieht ihr euch wieder an!

Die kleine Marie fing an zu weinen, und wir suchten rasch unsre Kleider.

Ich war fast böse auf meine Mutter. So schrecklich unartig waren wir doch garnicht gewesen. Und geschämt hatte ich mich eigentlich auch nicht. Das tue ich blos wenn mich einer sehr lobt, oder wenn ich was Dummes gemacht habe.

Und Mutter fragt mich doch nie, ob ich mich schäme, wenn ich in der Badewanne sitze und sie mich abseift; und da bin ich doch auch nackt.

Und das Spiel war so lustig, und die Nußblätter sahen so grün und frisch aus auf unsrer weißen Haut. Blos ein bißchen bange war mir gewesen, ob ich die Schönste sei — ja, das ist wahr —

Ob Mutting vielleicht doch Recht gehabt hat? — —

aus: Paula Dehmel, Singinens Geschichten. Herausgegeben von Richard Dehmel, E. A. Seemanns Verlag, Leipzig, 1921 (pdf, ePub und html, sowie Digitalisat bei ngiyaw eBooks)

Ludwig Aurbacher - Ferien-Reise

Nicolai von Astudin - An der Sägemühle



Die Familie hatte beschlossen, die ersten September- Tage, welche im südlichen Bayern, ungeachtet des sonst rauhen Klima’s, gewöhnlich einen heitern, freundlichen Charakter annehmen, auf dem Lande und zwar im Gebirge zuzubringen. Man hatte die Gegend gewählt, welche in frühern Zeiten die Grafschaft Werdenfels geheißen, und die, wie wenige Landschaften, das Freundliche, Heimliche, Idyllische zugleich mit dem Grandiosen und Majestätischen der Natur vereiniget. In Garmisch, einem Orte, der, mitten im Thale wohl gelegen, die freie Räumlichkeit eines Dorfes und zugleich die Bequemlichkeit eines Städtchens darbietet, hatte ihnen ein Freund eine Wohnung besorgt, welche die zahlreiche Familie wohl aufnehmen konnte, dergestalt, daß die Frauen ihr Hauswesen selbst auf leichte und wohlfeile Weise zu besorgen vermochten. Man vermißte nur das Angewohnte, Zierliche des heimischen Herdes, nicht aber das Bequeme, Naturgemäße.
Die ersten zwei, drei Tage hatte man in jener süßen Betäubung, in jenem träumerischen Zustande verlebt, den der Städter jederzeit erfährt, wenn er nach langer Zeit wieder einmal auf das Land, mitten in die freie, frohe Natur versetzt wird. Die mannichfachen, bunten Gestalten, die nahen Berge, die üppigen Wälder und Fluren, die entfesselten Bäche, das saftige Wiesengrün, frische Luft, freie Bewegung, heitere Muße — lauter Schönheiten und Genüsse, die, wenn auch früher schon und öfter erfahren, doch wieder in der Erinnerung erblaßt und untergegangen sind, — sie wecken den tauben Sinn, die schlummernde Seele zu plötzlichem Entzücken auf; man lebt ein neues Leben; man fühlt sich durchweg erfrischt, umgewandelt, beseligt. Den Tag über ergeht man sich in der freien, schönen Natur, und zerstreut sich an ihren Zerstreuungen, an ihren mannichfaltigen Reizen, und den Abend — wenn nicht eine wohlthuende Müdigkeit bald zur Ruhe einlädt — verplaudert man in kurzweiligen Gesprächen über das, was man den Tag über gesehen, genossen hat; oder man verliert sich wohl auch in Erinnerungen an die Heimath, an die Freunde in der Ferne, die man so gern sich herbei wünschen möchte, um bei ihrer Theilnahme die Freuden der Natur und des Landlebens doppelt zu genießen.
Die Witterung änderte sich, es trat Regen ein. Bei Leuten, die bloß des Vergnügens und der Erholung wegen auf dem Lande sich aufhalten, ist dieser Umstand von Entscheidung; er veranlaßt sie, auf Zerstreuungen anderer Art zu sinnen, als welche die Natur und sonst wohl die Stadt darbieten, und nöthigt sie, durch Rückkehr auf sich selbst und in enger Beschlossenheit des Familienlebens angenehme Unterhaltung zu suchen.
Der Vater verwendete den Morgen zur Besorgung der nöthigsten Correspondenzen und Rechnungen; die Mutter gab sich in der Küche zu schaffen, und änderte Manches im Hause zu besserer Wohnlichkeit; die Großmutter stand ihr bei in dem Geschäfte, rathend und nachhelfend; die Tante beschäftigte sich mit den beiden Mädchen; der Großvater saß geruhig am Fenster oder erhob sich wohl auch, das Thun und Treiben der Leute zu beschauen; der Onkel endlich war, trotz des schlimmen Wetters, hinausgegangen, und trieb sich im Dorfe und im Freien umher mit den beiden Knaben.
Als die Familie gegen Mittag wieder vereinigt war (die Kinder spielten noch vor Tisch auf dem geräumigen Söller), da nahm der Vater das Wort, und sprach: »Der heutige unfreundliche Morgen hat uns alle gemahnt, daß wir bei unserm längern Landaufenthalte, wollen wir uns nicht mitunter der bösen Langweile bloß stellen, wohl noch auf andere Unterhaltung denken müssen, als welche uns die Natur gewähren kann; denn obgleich übrigens ein stilles, ruhiges Beisammenwohnen einer Familie, wie die unsrige, für sich schon behaglich und gemüthlich genug ist, so will doch auch der Geist seine angemessene Beschäftigung, und er findet sie zumeist in einer bestimmten Aufgabe und in einer freiwilligen Beschränkung innerhalb eines gegebenen Spielraums. Nun haben die Frauen, vor unserer Abreise, uns Männern die schwere Verbindlichkeit auferlegt, daß wir keine Bücher mitnehmen sollen in die ländliche Einsamkeit, und damit so recht den Nerv unsers geistigen Lebens durchschnitten; wogegen sie freilich aber auch das ungeheure Versprechen gethan und gehalten, daß sie keine Schachteln in den Wagen mitnehmen wollten, mit Zier- und anderm Unrath; was denn freilich ihnen große Resignation gekostet hat.«
Die Mutter unterbrach ihn, und bemerkte lächelnd: »die Uebereinkunft sey von beiden Seiten mit gleich schweren Opfern geschehen, da der Männer Lectüre doch auch gewöhnlich nur als solcher Zier- und Unrath anzusehen sey.«
»Um nun die freiwillige Einbuße dieses Zier- und andern Unraths wo möglich zu ersetzen — fuhr der Vater fort — möge denn folgender Rath erwoben und angenommen werden. Da wir doch zunächst der Kinder wegen, und um ihnen Erheiterung und Erholung zu verschaffen, die Stadt verlassen und das Land aufgesucht haben, so wollen wir auch vor Allem darauf bedacht seyn, daß wir diesen unsern Lieben recht viel Angenehmes bereiten, nebst allem nur möglichen Nützlichen. Und darum mache ich den Vorschlag, der auch gewiß euren Beifall erhalten wird: daß wir jeden Tag, oder doch so oft, als es Umstände erlauben und Neigungen einladen, eine Stunde ausschließlich ihrer Unterhaltung widmen, und mit angemessenen Vorträgen und andern, Geist und Herz anregenden, ernsten und heitern Mittheilungen sie erfreuen.«
»Diesen Fall habe sie voraus gesehen — sagte die Tante — und darum habe sie ja eben in Ansehung der jugendschriften Nachsicht empfohlen und Ausnahme hingerathen, um der Kinder willen.«
»Damit sie nämlich — neckte der Onkel — auch einige Nachsicht und Ausnahme hätte erlangen mögen in Ansehung einer und der andern Schachtel.«
»Das Vorlesen aus Büchern, Kindern gegenüber — sagte der Großvater — erscheint mir so unnatürlich und wirkungslos zu seyn, wie eine abgelesene Predigt vor einer Dorfgemeinde. Das Volk und die Kinder wollen das lebendige Wort haben; sie wollen Aug’ in Aug’, Mund an Mund genießen; und an ihre Herzen geht nur, was von Herzen (par cœur) geht.
Mir wenigstens — sagte die Großmutter — kommt nichts unnatürlicher und verkehrter vor, als z.B. ein Mährchen, das vorgelesen wird. Wie es entstanden, so soll es auch fortgeleitet werden, als lebendige Sage. Die Frucht schmeckt am besten, wenn sie frisch vom Baume gepflückt wird. Ein niedergeschriebenes und vorgelesenes Mährchen erscheint mir wie ein Schmetterling, unter Glas und Rahmen gefaßt. Lieber schau’ ich ihn, wie er sich regt und bewegt auf Blumenkelchen, in den Lüften.«
»Und so ist es denn meine Meinung und mein Vorschlag — fuhr der Vater fort — es sollte jedes von uns, abwechselungsweise und zu festgesetzter Stunde, irgend eine Legende, ein Mährchen, eine Volkssage, oder sonst eine Erzählung mittheilen, die für die Kinder unterhaltend und belehrend, und auch für uns Große immerhin noch anziehend genug wäre. Den letztern Punkt dürfte man, wohlgemerkt! nicht aus dem Auge verlieren, damit man nicht Gefahr laufe, daß das Kindliche ins Kindische ausarte. Und ich glaube auch, daß dieser Forderung zu genügen sey. Denn gleichwie unser Umgang mit Kindern nicht nur nicht störend wirkt für sie und uns, sondern im Gegentheil recht sehr fördernd und jede herzliche Annäherung und geistige Erkräftigung anregend: also muß es auch, dünkt mich, eine Sprache, eine Auffassung und Darstellung der Gegenstände geben, welche Jung und Alt gleichmäßig anziehet und befriediget; wie denn in der That die echte Einfalt weise, und die echte Weish it einfältig ist.«
Die Tante bemerkte scherzend, daß dieß doch kaum möglich sey, zumal im Angesicht der Männer, deren Schul- und Weltweisheit zu eng und zu weit sey, um das rechte Maß zu erkennen und anzuerkennen.
»Das sey unsere Sorge — erwiederte der Onkel — an mir wenigstens soll es nicht fehlen, daß der kritische Maßstab richtig gehandhabt werde; und ich werde es jederzeit zu rügen wissen, wenn z.B. die Einfalt gar zu einfältig, oder die Weisheit gar zu naseweis erscheinen würde.«
»Weil nun aber ich es war, der diesen Vorschlag gemacht hat — sagte der Vater — so ziemt es sich wohl, daß ich mit gutem Beispiele voraus gehe, und sohin gleich heute Abends mit einer solchen Unterhaltung beginne, die auch, ihres frommen Inhaltes wegen, dem Tage des Herrn, den wir morgen feiern werden, als vorbereitende Erbauung angemessen seyn sollte. Auch in Ansehung der Form wird die Erzählung genügen, und (setzte er lächelnd hinzu) ihr Uebrigen mögt nur geradezu ein Muster daran nehmen, wie man zu Kindern sprechen soll.«

aus: Ein Büchlein für die Jugend, Literarisch-Artistische Anstalt, München, 1834

Montag, 6. September 2010

Ilse Frapan – Hans Tapp in Mus


Als pdf und ePub bei ngiyaw eBooks


Ja, daher hatte er seinen Namen! Und er machte ihm Ehre, das muß wahr sein. Und wie er ihn bekam, das ist leicht erzählt.

Er war drei Jahre alt damals. Auf dem Tische stand eine mächtige Schüssel Buchweizengrütze, wie ein grauer Berg in einem See von weißer Milch. Aller Augen hafteten begehrlich darauf, aber es gab noch nichts; die Mutter rief erst um den Tisch: »Seid ihr alle sauber?« Und als acht Hände zur Beköstigung in die Höh gereckt wurden, bemerkte sie, daß der Inhaber des kleinsten Paars Fäuste ein schwarzes Schnäuzchen hatte.

»Hans!« rief sie, »komm herüber, daß ich dir erst die Nase putze.« Da richtete er sich auf und nahm stramm und ernsthaft den geraden Weg über den Tisch, und da der Grützbrei just in der Mitte stand, konnt er's nicht vermeiden, auch hindurch zu gehen, blieb aber mit einem Zeh darin stecken; verlor das Gleichgewicht und fiel der Mutter kopfüber in den Schoß. Das gab ein Gekreisch.

»Nu nu,« sagte die Mutter, »da bist du freilich, aber das nenn ich einen Hans Tapp ins Mus! Hättest können einen Umweg machen.«

Und den Namen mußte er behalten. Als er größer wurde, ward er ein stämmiger Junge. Weißblondes Haar ringelte sich um seinen kugelrunden Kopf, darin saßen ein Paar runde blaue Augen, wie aufgerissen Knopflöcher, und dazwischen stand eine runde Nase, derb wie eine gesunde Kartoffel.

Seine Augen glänzten nicht, sondern schwammen stets in einem Ozean von Neugier und Verwunderung, seine Fäuste griffen hart zu, und er war kein Held aus der Schulbank. Das macht, die Großmutter hatte ihm zuviel Geschichten erzählt, abends, wenn sie spann. Die hörte er lieber als alles andre. Sie gingen ihm noch über die Buchweizengrütze, und das wollte viel sagen. Er hatte aber auch eine kluge Großmutter, die von allem wußte, was nachts zwischen zwölf und eins lebendig wird, und ihr Märchensack hatte keinen Grund. Sie wußte so gut von den Zwergen wie von den Unnererschen* Bescheid, aber die Elfengeschichte war die allerbeste. Hans hörte sie hundertmal mit an, und da wußte er sie auswendig. Aber nun wollte er die Elfen auch tanzen sehen. Wieder wußte die Großmutter Rat. »Wer in der Vollmondsnacht des Augusts,« sagte sie, »auf die Ellernwiese am Speckmoor geht, der sieht den Elfenreihn. Tausend blaue Glockenblumen stehen dort, drin wohnen die Elfen bei Tag; ein einziger Stengel aber trägt weiße Glocken, das ist das Haus des Elfenkönigs. Wer daran klopft mit dem Zeigefinger, just bei dem ersten Strahl des aufgehenden Mondes, dem muß der Elfenkönig Rede und Antwort stehen, und wenn der Frager klug ist und seine Macht zu gebrauchen weiß, so kann er selbst einmal König werden. »König ist ein gutes Geschäft,« sagte Hans, und als die Zaubernacht herankam, schlich er sich von der Buttermilch, statt auf den Heuboden, wo er mit seinen Geschwistern schlief, auf die Ellernwiese am Speckmoor, um den Mond aufgehen zu sehen. Und richtig fand er die Wiese, von der die Großmutter gesprochen hatte, und über und über besät war sie mit blauen Glockenblumen. Als er aber auch die hohe weiße Blume unter den dunklen entdeckte und sah, wie ein leises Leben sie hin und her zu bewegen schien, da konnt er's nicht erwarten, denn der Mond war säumig. »Mond hin, Mond her, heda Elfenkönig!« schrie der Junge und griff nach der Blume, aber in seinen täppischen Fingern zerbrach der zarte Stengel und blieb in seiner Hand.

»So ist's am allerbesten,« wollt er eben sagen, da zog ein weißer Nebel vor seinen Augen herauf, der ward dichter und dichter, daß er wild um sich griff, um ihn fortzuschleudern; aber es umzog ihn enger und fester, wie ein riesiges Spinnennetz, und dazwischen fühlte er ein Stechen und Zwicken, ein Zerren und Brennen, daß er nach den unsichtbaren Feinden schlug wie ein Besessener. Aber es ward nur immer toller. Wenn er schreien wollte, setzte sich's auf seine Lippen wie ein blutgieriger Mückenschwarm, bis er sich zuletzt, ein wütender Kreisel, dreimal um sich selber drehte und dann vorwärts schoß, die erzürnten Geister hinter ihm drein. Auf einmal war's, als geschähe ein Donnerschlag; es blitzte rote Funken vor seinen Augen, in seinem Hirn aber grollte der Donner endlos nach, -- er war mit der Stirn gegen einen dicken Erlenstamm gerannt, und es ward tiefe Nacht um ihn.

»Was treibst du denn, Junge?« fragte der Vater, der ihn am andern Morgen blödäugig und mit geschwollener Stirn im Grase liegen sah; »hat dir was Böses geträumt, daß du fortläufst in der Nacht und läßt uns suchen? Marsch! heim! und wasche dich.«

Da wanderte der Elfenbeherrscher, denn für den hatte er sich immer so lange vergebens gehalten, mit schlurfenden Schritten nach Haus. Aber es ging ihm schlimm; Großmutter hatte alles ausgeplaudert, und wo er heimkam, da lachten sie und nannten ihn erst recht: »Hans Tapp ins Mus« und fragten ihn: »Wo liegt dein Königreich« und sie wußten doch recht gut, die bösen Schelme, daß er sich nichts als eine blaue Beule erobert hatte. Es war aber Eine da, die ihn niemals neckte, sondern ihn für ganz so weise und tapfer hielt, wie Hans sich selber einbildete zu sein. Das war seine Gespielin Fife, des armen Heideschäfers Tochter. Darum steckte auch Hans am liebsten mit ihr zusammen und zog sie nur selten an den dicken Blondzöpfen, oder trat sie auf die nackten Zehe, denn er wollte zeigen, daß er Anhänglichkeit und Ergebenheit zu vergelten wisse.

Als nun Hans Tapp ein vierschrötiger Bursch geworden war, der das Wachstum seines Schnurrbarts über ein Vierteljahr lang beobachtet hatte, hielt er's an der Zeit, auf Abenteuer auszugehen, denn er wollte kein Bauer bleiben wie sein Vater. »Immer höger rup!« sagte er zur Heideschäfersfife, mit der er am letzten Abend vor seiner Ausreise auf dem Holunderzaun saß und seine Aussichten und Pläne überlegte. Fife hatte ihre Hände gefaltet und ihre nackten Füße übereinandergelegt, und der Mondschein badete sie silberweiß, obwohl sie bei Tage braun und sonnenverbrannt aussah. Aus ihren sanften Augen rannen Tränen um den scheidenden Spielkameraden, aber zu all seinen Worten nickte sie kräftig mit dem blonden Kopf, daß ihr fadenscheiniges rotes Mützchen von einer Seite zur andern wackelte.

»So einen haben sie noch nicht gehabt,« sagte Hans und reckte sich, »wo ich hintrete, da wächst kein Gras, warum sollt ich nicht König werden? Und wenn ich's dann bin und habe noch keine Frau, dann kannst du vielleicht meine Königin werden; also heirate lieber nicht, auf alle Fälle, du könntest sonst ein großes Glück verscherzen.«

Das alles versprach Heideschäfers Fife, und Hans zog von dannen.

Um diese Zeit aber regierte weiter im Norden, wo die Schneeberge sind, ein mächtiger König, dem war in seiner Jugend etwas Seltsames begegnet.

Er hatte sich einst auf der Jagd verstiegen, war in eine öde Felsenwüste gekommen. Immer weißer gleißten die Gletscher, immer lauter brüllten die Wasserfälle, immer näher rückten die Abgründe, immer beklommener ward es dem König ums Herz. Er nahm sein Horn und stieß einen hellen klagenden Hilfeschrei aus. Da verwandelte sich der Fels, auf dem er hing; er stand nun auf einer samtgrünen Matte, die übersäet war mit leuchtenden Blumen, himmelfarbenen, rosenroten und milchweißen, wie er seiner Lebtag nichts ähnliches gesehen. Darüber vergaß er aller Angst und bückte sich, um seiner schönen jungen Königin, die daheim mit dem Grützbrei auf ihn wartete (denn es war noch in der guten alten Zeit, wo auch die Könige Grütze aßen), einen seltnen Strauß zu bringen. Aber im Bücken erstarrten seine Glieder, seine Füße wurzelten fest, eisige Kälte durchfröstelte sein Blut. Der Gipfel des Schneebergs über ihm hatte auf einmal ein riesiges Antlitz bekommen, ein Paar gewaltiger Augen funkelten ihm aus den Spalten entgegen, und der Wind zischte ihm Worte zu, verständliche Worte. »Wer bist du Zwerg? und wer rief dich in Bergkönigs Gebiet? in Bergkönigs Garten?«

»Ich bin ein König wie du,« sprach der Gefangene stolz, Vettern sollten einander mit Achtung begegnen.«

»Du ein Könige nicht übel!« und der trotzige Riese lachte, daß es in allen Schluchten und an allen Felskanten donnerte, krachte und widerhallte, »nicht übel! Freilich nur ein König des armseligen Ameisenvolks, das seine Nester überall hin zu kleben versucht und unser altes Erbe über und über mit ewig krabbelndem Gewimmel bedeckt.«

»Ich bin ein Mensch,« sagte der König beleidigt, »ich habe ein Schloß mit dreizehn hohen Türmen und kein Nest. Ameisen kenn ich wohl! Du unterschätzest uns, weil wir kleiner sind als du, aber wir haben es hier! hier!« sagte der junge König und tippte sich selbstbewußt auf die glatte weiße Jünglingsstirn.

Da lachte der Riese noch lauter und gellender, und der König hätte sich gern die Ohren zugehalten, nur fand er es gegen den Anstand.

»Wohl; wenn du soviel Selbstvertrauen hast, brauche deinen Witz, finde dich ins Tal, ich halte dich nicht länger,« sprach der Berggeist.

Ja, ja! aber es gähnten ihm rechts und links blaugrüne Abgründe entgegen, seine Füße waren frei, aber sie bebten im Schwindel; verschwanden war der Garten mit seinen Blumen; das Riesenhaupt selbst, das ihn mit Grauen erfüllt, verschwamm im Nebel, und ganz einsam ward es und atemlos still.

»Hilfe! zu Hilfe!« schrie der Verirrte, von Todesangst gepackt. »Spring herab! ich fange dich, fange dich auf!« lispelte eine feine Stimme, und ein Quellwasser, das er bis dahin nicht bemerkt, blinkte verlockend wenige Schritte unter der Zacke, auf der er stand. Da faßte er wieder Mut, wagte es und sprang in das Quellbett, aber er fühlte kein Wasser und keine Kälte, sondern glitt so schnell und leicht abwärts wie auf Schneeschuhen oder auf dem Rücken einer glatten, glanzschuppigen Schlange.

Als er von fern die dreizehn Türme seines Schlosses erblickte, ward er wieder völlig er selbst, und huldvoll sprach er: »Du königstreues Bächlein, dich will ich fürstlich lohnen zum Dank für deinen Dienst. In eine rosenrote Marmorschale will ich dein Wasser sammeln, oder begehrst du lieber eine milchgrüne?« Und gnädig wandte er sich rückwärts. Hätte er nur das nicht getan! Denn voll Schrecken erkannte er, daß es wirklich eine schuppige Schlange gewesen, die ihn getragen hatte, eben glitt er über den Kopf hinab auf seine Füße. Und o, schlimmere Überraschung, es war des Berggeists Stimme, die ihm aus dem mächtig bezahnten Rachen entgegenrief:

»Es wäre töricht, auf Dankbarkeit zu rechnen bei eurem Geschlecht, den Dank hol ich mir selber, wenn dein Töchterlein zwanzig Jahr alt ist. Möcht's einmal in der Nähe sehen, wie so ein kleines Gewürm geht und steht und den Mund auftut.«

Der König zitterte bei der bösen Drohung. Wieder sah er sich überlistet, und noch dazu von einem, der da! da! (er tippte sich in Gedanken wieder aus die Stirn,) so unendlich hohl, plump und arm gegen ihn selber war. Er tröstete sich einzig mit dem Gedanken, daß er in neunzehn Jahren, die bis zu jenem schlimmen Tage noch verstreichen mußten, wohl da! da! ein Mittel finden würde, um den unverschämten Riesen mit Schanden abfahren zu lassen. Der aber schien seine Gedanken bis ins kleinste erraten zu haben, denn als sie vor dem Schloßtor standen, sprach die Schlange: »Ich fordere kein Versprechen, sondern weiß ein Mittel, dir die Mühe des Wortgebens und Wortbrechens zu ersparen, gib acht!« Alsobald schlüpfte aus dem Munde des Ungeheuers ein kleines zierliches Schlängelchen, ungefähr von Daumesdicke, das nickte schlau mit dem silbrigen Köpfchen und machte sich hurtig hinter dem entsetzten König her, der sich zum drittenmal geschlagen sah.

Seine junge Königin kam ihm in Tränen entgegen, so schwer hatte sein Ausbleiben sie geängstigt; und sogleich beschloß er, sein Abenteuer zu verheimlichen, einmal, weil er sie noch mehr zu erschrecken fürchtete, dann aber auch, weil er fühlte, daß seine Rolle bei diesen Vorgängen keine ruhmwürdige gewesen und daß die Mitteilung seinem Ansehen nicht eben förderlich sein möchte. Ein eigener Umstand kam seinem Entschlusse zu Hilfe. Wohl hatte er mit Grauen bemerkt, wie das Schlänglein unter die Wiege seines kleinen Kindes gekrochen war, aber niemand sonst schien das unheimliche Geschöpf an dieser Stelle wahrzunehmen, weder die Mutter noch die Wärterinnen, so daß der König sich oft ängstlich die Augen rieb, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume. Aber er sah immer dasselbe. Die Jahre vergingen, und das Kind wuchs heran, aber neben ihm wuchs die Schlange, nur in dreifachem Maße. Sie war des Kindes ständige Begleiterin, lag, wenn es schlief, friedlich zusammengerollt neben ihm, aber die glänzenden gläsernen Augen schliefen niemals. Kein Auge als des Königs sah ihr Wachsen und Schwellen, das ihn Tag für Tag an die näherrückende Gefahr erinnerte, und das schreckliche Geheimnis drückte ihn oft so schwer in schlaflosen Nächten, als läge das ganze Gewicht der Schlange auf seiner Brust.

Indessen wuchs die junge Prinzessin unter so seltsamer Bewachung zu großer Schönheit und Kraft empor. Sie hieß im Lande: ,«die Glückliche«, denn keine Krankheit befiel sie, kein Unfall traf sie, aus drohenden Gefahren ward sie auf rätselhafte Art gerettet.

Bald erscholl der Ruf ihrer Klugheit und Schönheit über alle Lande, und als die Prinzessin achtzehn Jahre alt geworden, trat der Prinz aus dem Nachbarreiche eine lustige Brautfahrt an, die vor dem Schloß der schönen Sigune enden sollte. Da aber geschah etwas Schreckliches. Die Schlange, die bis dahin niemand als dem Könige sichtbar gewesen, lag plötzlich, ein Entsetzen für alle Augen, in ungeheurer Größe vor dem Tor der Burg, dehnte und reckte ihre gewaltigen Windungen und ließ ihre Silberschuppen in der Sonne spielen. Da überlegte der König im beklommenen Herzen, ob er nicht lieber seiner Tochter und ihrem Freier alles entdecken solle; aber es schien ihm hinwiederum zu spät für eine solche Eröffnung, und er konnte nicht aufhören, auf Rettung seines Kindes zu hoffen. So schwieg er abermals, erklärte mit zuversichtlicher Miene, das friedlich daliegende Ungeheuer sei Sigunens Schutzgeist und machte Anstalt, seine Tochter mit dem Nachbarprinzen zu verloben.

Ruhig sah die Schlange die Vorbereitungen mit an, eben so ruhig die Prinzessin, von der man nicht erfahren konnte, ob sie dem Freier gewogen sei oder nicht.

Als aber der festliche Tag da war, der Prunksaal von hohen Gästen strahlte und der junge Prinz mit siegbewußter Freude und glänzendem Gefolge auf Sigune zugeschritten kam, da sahen alle mit Schaudern, daß die schreckliche Silberschlange den Schweif des Festzuges bildete, und als der Jüngling sich zu seiner schönen Braut neigte und ihr den Ring anstecken wollte, tat das Ungetüm einen weiten Satz nach vorn, riß den zahnstarrenden Rachen auf und verschlang den Bräutigam, ehe sich noch ein Finger zu seiner Rettung erheben konnte. Das war denn doch selbst für eine Prinzessin zu stark: sie fiel in Ohnmacht und mit ihr sämtliche Damen des Hofes, indes der König wie versteinert in die zornfunkelnden Augen des Tieres starrte, das niemand anzugreifen wagte, nicht einmal an der äußersten Schwanzspitze.

Von diesem Augenblick an nannte man die Schlange den Reichsfeind, und der bekümmerte König ließ überall bekannt machen, daß, wer ihn besiege, sein Schwiegersohn werden solle; sehr zum Ärger der Prinzessin, der solche Verfügung über ihre Hand Schmach und Erniedrigung dünkte. So kam es denn auch, daß sie alles Interesse an ihren Bewerbern verlor, da nicht der Wunsch, sie zu gewinnen, weil sie ihren Wert kannten, sondern Abenteuersucht und Ruhmbegier die meisten in ihres Vaters Reich lockte; und weil sie sicher war, zu rechter Zeit die Schlange mit dem grundlosen Rachen den Beschluß machen zu sehen, so ließ sie sich gleichmütig heute einen blonden und morgen einen schwarzhaarigen Freier vorführen und hatte kein andres Gefühl mehr für sie, als kalte Neugier, die nur erwartete, unter welchen besonderen Umständen ihre Vertilgung stattfinden werde, und ob nach längerem oder kürzerem Werben. Ihre Eltern aber und das Land trauerten tief über das Unheil, und Sigune ward nun nicht mehr die Glückliche genannt.

Da geschah es, daß unser Hans Tapp ins Mus seine gewichtigen Wanderschritte nach dem trauernden Lande lenkte, und obgleich seine erste Erfahrung mit der Geisterwelt keine sehr angenehme gewesen, klopfte er sich wohlgemut auf den Magen, als auf sein zuverlässigstes Organ und rief voll Selbstvertrauen: »Sei munter, tapferer Hans! Dies ist die Gelegenheit! Nun wirst du endlich doch noch König. Hurra! höger rup!«

Und dann stärkte er sich herzhaft hinter Schüssel und Flasche, pflückte aus dem Krautgarten seines Wirtes zwei stattliche Sonnenblumen, von denen er eine als goldne Kokarde an seinen Hut, die andre auf sein Wams pflanzte, faßte den nägelbeschlagenen Knotenstock derb mit der Faust und trat kurzfertig in die goldene Halle des Königs als Bewerber um sein schönes Töchterlein. Als Sigune aber den protzigen Lümmel mit seinem runden Flachskopf und seinen Sonnenblumen auf dicken Bauernschuhen daherstaken sah, hielt sie sich vor Lachen das Taschentuch fest auf den Mund, so daß Hans sich teilnehmend erkundigte, ob sie Zahnreißen habe und ihr ein Hausmittel seiner Großmutter anempfahl. Da aber lachte sie ihm offen ins Gesicht und bekannte, daß sie noch nie seinesgleichen gesehen, was Hans bescheidentlich als eine gar zu große Schmeichelei abwehrte. So hochmütig sie sich aber auch benahm, sie konnte ihm den Versuch, ihr Gemahl zu werden, nicht verweigern, hoffte aber fester als je auf den Zorn der Schlange, die so viele annehmbare Bewerber ohne Sang und Klang beseitigt hatte.

Ja, so sehr wünschte sie, von des biederen Hansen Gegenwart befreit zu werden, daß sie sofort ihren Vater sein Jawort geben und den Verlobungsring herbeibringen ließ, ohne einen Augenblick Aufenthalt. Und sogleich auch wälzte sich in den Saal lautlos und schimmernd die gefürchtete Schlange, und viel Volks strömte hinterdrein, obgleich es dies Schauspiel Tag für Tag sich hatte wiederholen sehen.

Und wie jedesmal vorher bäumte sich beim Erfunkeln des Verlobungsringes der Kopf des Untiers hinter dem ahnungslosen Todeskandidaten empor, der denn auch wie seine Vorgänger lautlos zwischen den weißen Zahnreihen verschwand. Nein, -- nicht ganz verschwand! Der Rachen blieb klaffend, und Hansens Kopf erschien auf einmal wieder. Ein ungeheurer vielstimmiger Schrei der Überraschung und Freude durchschütterte den Saal. Hans war mit seinen Nagelschuhen zwischen den Zähnen des Tieres hängen geblieben und arbeitete sich nun mit einem Rucke los, schwang sich kräftig an dem Oberkiefer empor, und -- trat dem Ungeheuer mit aller Gewalt auf die Nase, so daß es einen donnerähnlichen Nieser ertönen ließ. Sprachlos wendete sich die Prinzessin ab, das Volk umher jauchzte laut und schrie dem Hans zu, seinen Vorteil nachdrücklich wahrzunehmen. Da stellte sich der Unerschrockene breitbeinig vor die Schlange und schrie mit aller Kraft seiner Lunge: »Bekennst du dich besiegt?« Auf diese Frage ertönte ein zweites Niesen, dieses Mal so stark, daß alle Spiegel im Schlosse an zu klirren, alle Glocken an zu läuten und alle Instrumente an zu spielen fingen, und in diese Musik hinein ertönte der allgemeine Jubelruf: »Es hat geniest, und niesen bedeutet ja!« Die Schlange aber zog sich ein Stückchen rückwärts, beschämt wie ein Löwe, der seinen Sprung verfehlt hat. Wie nun Hans die Thronstufen der Prinzessin erklomm und sie ihn mit ihren stolzen Augen niederblitzen wollte, raunte ihr der Vater voll bleicher Angst ins Ohr: »Du mußt ihn nehmen, Kind, in wenig Tagen bist du zwanzig Jahr alt, -- ein furchtbares Schicksal ist dir bestimmt -- vielleicht wird dieser uns retten von Tod und Verderben« -- --

Da merkte Sigune, daß ihr Vater wußte, was ihr selbst verborgen war und trachtete, Ausschub zu gewinnen. Sie stellte sich gleichmütig gegen den Sieger und sprach: »So mögt Ihr mir den Brautkuß küssen.«

»Ihr sollt mich nicht umsonst gebeten haben, stolze Dame, mit Freuden tu ich's!« rief Hans Tapp ins Mus begeistert, »höger rup! höger rup!« und er dehnte und streckte sich gewaltig. Aber es langte nicht, er konnte die Prinzessin nicht erreichen und küßte nur immer in die leere Luft.

Das nahm er fast übel. »Ich glaube, Ihr seid scherzhaft, Jungfer Braut,« rief er betreten, »aber ich will's schon machen, höger rup!« Und er streckte sich, so gut er konnte.

Könnt Ihr noch nicht anlangen, guter Hans?« spöttelte die Prinzessin, »ist mir leid, kommt aber, scheint's, vom Standesunterschied. »

»Alles ausgeglichen durch meine Heldentat!« und Hans erhob seinen nägelbeschlagenen Absatz.

Da ward die Prinzessin rot vor Unwillen. »Noch nicht ganz ausgeglichen, wie Ihr seht! Und so leid mir's tut, muß ich dennoch auf Eure liebwerte Person verzichten, falls Ihr mich nicht zu küssen vermögt.«

»Den Kummer möcht ich Euch nicht antun,« erwiderte der Unerschütterliche, »auch werdet Ihr Rat wissen, Ihr schaut mir wie ein schlaues Frauenzimmer aus.«

»Großen Dank für die gute Meinung,« sprach die Prinzessin verächtlich, »und Rat wüßt ich wohl. Wenn Ihr zu meiner Höhe aufreichen wollt,« sagte sie weiter, und ihre Augen blitzten so kalt und tief wie dunkle edle Steine, »so müßt Ihr ein frisches Menschenherz unter Eure Füße legen; wenn Ihr das erfüllt, dann » -- »Weiter nichts?« rief Hans, »weiter nichts? Ei, da werd ich bald Euer herzliebster Herr und Gemahl und dazu der König dieses guten Landes sein! Übermorgen, wenn die Sonne untergeht, bin ich wieder zur Stelle.«

Und ohne zärtlichen Abschied schritt er von dannen und wanderte, wanderte, bis er in seine Heimat kam, und fast außer Atem trat er in das Hüttchen der Heideschäfersfife.

Wie ihm das gute Mädchen entgegenflog! »Hans, Hans,« rief sie mit tausend Tränen, »bist du endlich zu der armen Fife gekommen!«

»Jawohl!« sagte er freundlich und ließ sich küssen und herzen, »ich habe eine Bitte, Fife.«

»Ich weiß wohl, was es ist,« flüsterte das Mädchen in verschämter Glückseligkeit, »du bist gekommen, um mich endlich heimzuführen.«

»Nein,« sagte er unbefangen, »das werd ich schön bleiben lassen. Ich kann eine Prinzessin bekommen, es ist so weit. Aber du bist immer eine treue Seele gewesen, ja, ich weiß es, Fife, weine nur nicht, und da dachte ich, du würdest mir gern einen kleinen Dienst leisten, von wegen unsrer alten Freundschaft.«

Und nun rückte er heraus mit seinem Anliegen.

»Wenn du dein Herz doch einmal mir geschenkt hast,« sprach er väterlich, »was ist es dann dir noch nutz? ich aber kann dadurch König werden.«

Da gab die arme Fife ihr blutendes Herz hin, ... und Hans eilte mit Siebenmeilenschritten zu der Prinzessin, warf das blutende Herz vor ihrem Thron auf den Boden, trat darauf und wollte Sigune umfangen, denn sie waren nun von gleicher Größe. Das zertretene Herz aber klagte leise, und als die Prinzessin das hörte und sah, wie er ihren Willen erfüllt hatte, da stieg ihr der Widerwille und Abscheu über den Kopf, und mit einem Ruck ihrer schlanken Hand schleuderte sie ihn von sich und rief:

»Eine Versuchung war's, und du bist ihr unterlegen; für Glanz und Herrschaft hast du ein warmes Menschenherz zertreten; du bist kein Held! ein Held hätte nimmer solchem Gebot gehorcht. Niemals sollst du mein Angesicht wiedersehen!«

Dann wandte sie sich zu ihrem Vater und rief, während ihre Augen immer kältere Strahlen schossen und ihre Gestalt sich immer stolzer emporreckte: »Was hat dich geplagt, mein Vater, daß du mir das Geheimnis verbargst? Mir, die es angeht? Nun hat die Schlange mir alles offenbart, auch wie der mächtige Geist so treu um mich bemüht gewesen. Meinetwegen hätte nicht eins der schmucken Bürschlein sein Leben verlieren dürfen! Die Sorge war umsonst, freiwillig geh ich zum Berggeist!«

Da rauschte es über den dreizehn Türmen des Schlosses, ein Sturm hob das Dach der Halle empor, und ein Riesenhaupt wie eine Wolke verdunkelte das Blau des Himmels.

»Siehst du, Zwergenkönig,« höhnte die trotzige Stimme, »wir wissen, was wir tun, wenn wir neunzehn Jahre warten!«

Und er fing die Prinzessin wie ein Sonnenstäubchen, setzte sie sich in den Bart und brummelte zufrieden: »Da sitze und da krabble nun, bist ein wackres Silberläuschen. Hast es auch da! da! Ganz wie dein Herr Vater, da! da! ha! ha!«

Und langsam verschwand er im Nebel, indes das wilde Lachen noch forthallte und das Dach sich langsam, langsam senkte.

Vergebens bot der König seine Mannen auf, vergebens raufte die Königin ihr Haar,« Sigune kam niemals wieder. Aber immer noch tappt Hans durch die Welt auf der Suche nach seinem Königreich, und noch immer liegt das arme zertretene Herz im Staube.

* Unterirdischen

Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, 2. Auflage 1908, S. 35ff.

Ilse Frapan - Am Froschteich

Am Froschteich


Uak! U - ak! U - ak! käkäkäkäh! - Vater sagt, das ist die Froschmusik. Vater sagt, das ist die Sommermusik. - U - ak! U - ak! käkä! - Ich muß lachen. »Vater, wo sind denn die Musikanten?« »Im Wasser sind die Musikanten.« - »Worauf machen sie denn Musik, Vater?« - »Auf ihrem dicken Bauch machen sie Musik.« - »Wie können sie denn auf ihrem dicken Bauch Musik machen, Vater?«
»Sieh' selbst zu!« sagt der Vater. »Da ist vor und das Wasser! Da sind die Musikanten!«
Wir gehen durch das hohe Gras. Ich springe voraus. Das Gras ist hoch, es geht mir bis unter die Arme. Und da sind auch Bäume, die sind ganz niedrig bis auf meinen Kopf.
»Vater! Vater! das Wasser!«
Ganz grün sieht das Wasser aus, so glatt ist es. Auf dem glatten Wasser liegen runde grüne Blätter.
»Aber die Musikanten? Wo sind sie? Warum machen sie keine Musik mehr, Vater?«
»Das erste Stück ist aus und das zweite hat noch nicht angefangen.«
»Oh, sag' ihnen doch, daß sie wieder anfangen sollen, Vater.«
Vater lacht.
»Die versteh'n kein Deutsch.«
»So sag' es ihnen auf französisch, Vater.«
»Sei still, dann fangen sie wieder an.«
Wir sind ganz still und richtig - die Musikanten spielen von neuem!
U - ak! U - ak! käkäkäkrrr!
»Oh, Vater, ich sehe den einen Musikanten! Da auf dem breiten grünen Blatt! Er ist auch grün! Er bläst sich ganz dick auf! Sein Bauch ist weiß! Er hat seine Arme aufgestützt und seine Augen sind blank und gelb! Was singt er, Vater?«
»Was er singt? Er singt:
›Ich bin ein Frosch! Ich bin sehr groß und stark! Ich bin ein Held! Ich habe drei Mücken gegessen und eine Bremse! Die Bremse brummte sehr, aber ich habe sie doch gefangen! Mein Bauch ist voll. Ich bin satt. Aber ich will noch mehr Mücken essen. Und wenn wieder eine Bremse kommt, so will ich auch die Bremse fangen. Und wenn sie noch so stark brummt, so will ich sie doch besiegen. Denn ich bin ein großer Held!‹«
»Oh, Vater! Vater! singt der Frosch noch mehr? Was singt er jetzt?«
»Jetzt singt er: ›Ich bin König im Teich! Die Sonne ist König am Himmel! Im Winter schlafe ich. Im Sommer regiere ich. Ich kann springen und schwimmen. Mein Königreich ist groß!‹«
Quabb! platsch! macht es plötzlich. Der Musikant ist ins Wasser gesprungen.
Meine drei Brüder kommen herangesaust, sie spielen Pferd und knallen mit der Peitsche und schreien.
»Seid doch still! schreit nicht so!« ruf ich ihnen entgegen, »wir können ja nicht hören, was die Frösche weiter singen.«
Kein Musikant sang mehr. Alle waren ins Wasser gesprungen.

aus: Jugendland, Ein Buch für die junge Welt und ihre Freunde, Herausgegeben von Heinrich Moser und Ulrich Kollbrunner, Verlag von Gebrüder Künzli, Zürich, München, Paris, Turin, Barcelona, [1907], S. 53.

Richard von Volkmann-Leander - Die künstliche Orgel

Richard von Volkmann-Leander - Die künstliche Orgel. Vor langen, langen Jahren lebte einmal ein sehr geschickter junger Orgelbauer, der ...