Ja, daher hatte er seinen Namen! Und er machte ihm Ehre, das muß wahr sein. Und wie er ihn bekam, das ist leicht erzählt.
Er war drei Jahre alt damals. Auf dem Tische stand eine mächtige Schüssel Buchweizengrütze, wie ein grauer Berg in einem See von weißer Milch. Aller Augen hafteten begehrlich darauf, aber es gab noch nichts; die Mutter rief erst um den Tisch: »Seid ihr alle sauber?« Und als acht Hände zur Beköstigung in die Höh gereckt wurden, bemerkte sie, daß der Inhaber des kleinsten Paars Fäuste ein schwarzes Schnäuzchen hatte.
»Hans!« rief sie, »komm herüber, daß ich dir erst die Nase putze.« Da richtete er sich auf und nahm stramm und ernsthaft den geraden Weg über den Tisch, und da der Grützbrei just in der Mitte stand, konnt er's nicht vermeiden, auch hindurch zu gehen, blieb aber mit einem Zeh darin stecken; verlor das Gleichgewicht und fiel der Mutter kopfüber in den Schoß. Das gab ein Gekreisch.
»Nu nu,« sagte die Mutter, »da bist du freilich, aber das nenn ich einen Hans Tapp ins Mus! Hättest können einen Umweg machen.«
Und den Namen mußte er behalten. Als er größer wurde, ward er ein stämmiger Junge. Weißblondes Haar ringelte sich um seinen kugelrunden Kopf, darin saßen ein Paar runde blaue Augen, wie aufgerissen Knopflöcher, und dazwischen stand eine runde Nase, derb wie eine gesunde Kartoffel.
Seine Augen glänzten nicht, sondern schwammen stets in einem Ozean von Neugier und Verwunderung, seine Fäuste griffen hart zu, und er war kein Held aus der Schulbank. Das macht, die Großmutter hatte ihm zuviel Geschichten erzählt, abends, wenn sie spann. Die hörte er lieber als alles andre. Sie gingen ihm noch über die Buchweizengrütze, und das wollte viel sagen. Er hatte aber auch eine kluge Großmutter, die von allem wußte, was nachts zwischen zwölf und eins lebendig wird, und ihr Märchensack hatte keinen Grund. Sie wußte so gut von den Zwergen wie von den Unnererschen* Bescheid, aber die Elfengeschichte war die allerbeste. Hans hörte sie hundertmal mit an, und da wußte er sie auswendig. Aber nun wollte er die Elfen auch tanzen sehen. Wieder wußte die Großmutter Rat. »Wer in der Vollmondsnacht des Augusts,« sagte sie, »auf die Ellernwiese am Speckmoor geht, der sieht den Elfenreihn. Tausend blaue Glockenblumen stehen dort, drin wohnen die Elfen bei Tag; ein einziger Stengel aber trägt weiße Glocken, das ist das Haus des Elfenkönigs. Wer daran klopft mit dem Zeigefinger, just bei dem ersten Strahl des aufgehenden Mondes, dem muß der Elfenkönig Rede und Antwort stehen, und wenn der Frager klug ist und seine Macht zu gebrauchen weiß, so kann er selbst einmal König werden. »König ist ein gutes Geschäft,« sagte Hans, und als die Zaubernacht herankam, schlich er sich von der Buttermilch, statt auf den Heuboden, wo er mit seinen Geschwistern schlief, auf die Ellernwiese am Speckmoor, um den Mond aufgehen zu sehen. Und richtig fand er die Wiese, von der die Großmutter gesprochen hatte, und über und über besät war sie mit blauen Glockenblumen. Als er aber auch die hohe weiße Blume unter den dunklen entdeckte und sah, wie ein leises Leben sie hin und her zu bewegen schien, da konnt er's nicht erwarten, denn der Mond war säumig. »Mond hin, Mond her, heda Elfenkönig!« schrie der Junge und griff nach der Blume, aber in seinen täppischen Fingern zerbrach der zarte Stengel und blieb in seiner Hand.
»So ist's am allerbesten,« wollt er eben sagen, da zog ein weißer Nebel vor seinen Augen herauf, der ward dichter und dichter, daß er wild um sich griff, um ihn fortzuschleudern; aber es umzog ihn enger und fester, wie ein riesiges Spinnennetz, und dazwischen fühlte er ein Stechen und Zwicken, ein Zerren und Brennen, daß er nach den unsichtbaren Feinden schlug wie ein Besessener. Aber es ward nur immer toller. Wenn er schreien wollte, setzte sich's auf seine Lippen wie ein blutgieriger Mückenschwarm, bis er sich zuletzt, ein wütender Kreisel, dreimal um sich selber drehte und dann vorwärts schoß, die erzürnten Geister hinter ihm drein. Auf einmal war's, als geschähe ein Donnerschlag; es blitzte rote Funken vor seinen Augen, in seinem Hirn aber grollte der Donner endlos nach, -- er war mit der Stirn gegen einen dicken Erlenstamm gerannt, und es ward tiefe Nacht um ihn.
»Was treibst du denn, Junge?« fragte der Vater, der ihn am andern Morgen blödäugig und mit geschwollener Stirn im Grase liegen sah; »hat dir was Böses geträumt, daß du fortläufst in der Nacht und läßt uns suchen? Marsch! heim! und wasche dich.«
Da wanderte der Elfenbeherrscher, denn für den hatte er sich immer so lange vergebens gehalten, mit schlurfenden Schritten nach Haus. Aber es ging ihm schlimm; Großmutter hatte alles ausgeplaudert, und wo er heimkam, da lachten sie und nannten ihn erst recht: »Hans Tapp ins Mus« und fragten ihn: »Wo liegt dein Königreich« und sie wußten doch recht gut, die bösen Schelme, daß er sich nichts als eine blaue Beule erobert hatte. Es war aber Eine da, die ihn niemals neckte, sondern ihn für ganz so weise und tapfer hielt, wie Hans sich selber einbildete zu sein. Das war seine Gespielin Fife, des armen Heideschäfers Tochter. Darum steckte auch Hans am liebsten mit ihr zusammen und zog sie nur selten an den dicken Blondzöpfen, oder trat sie auf die nackten Zehe, denn er wollte zeigen, daß er Anhänglichkeit und Ergebenheit zu vergelten wisse.
Als nun Hans Tapp ein vierschrötiger Bursch geworden war, der das Wachstum seines Schnurrbarts über ein Vierteljahr lang beobachtet hatte, hielt er's an der Zeit, auf Abenteuer auszugehen, denn er wollte kein Bauer bleiben wie sein Vater. »Immer höger rup!« sagte er zur Heideschäfersfife, mit der er am letzten Abend vor seiner Ausreise auf dem Holunderzaun saß und seine Aussichten und Pläne überlegte. Fife hatte ihre Hände gefaltet und ihre nackten Füße übereinandergelegt, und der Mondschein badete sie silberweiß, obwohl sie bei Tage braun und sonnenverbrannt aussah. Aus ihren sanften Augen rannen Tränen um den scheidenden Spielkameraden, aber zu all seinen Worten nickte sie kräftig mit dem blonden Kopf, daß ihr fadenscheiniges rotes Mützchen von einer Seite zur andern wackelte.
»So einen haben sie noch nicht gehabt,« sagte Hans und reckte sich, »wo ich hintrete, da wächst kein Gras, warum sollt ich nicht König werden? Und wenn ich's dann bin und habe noch keine Frau, dann kannst du vielleicht meine Königin werden; also heirate lieber nicht, auf alle Fälle, du könntest sonst ein großes Glück verscherzen.«
Das alles versprach Heideschäfers Fife, und Hans zog von dannen.
Um diese Zeit aber regierte weiter im Norden, wo die Schneeberge sind, ein mächtiger König, dem war in seiner Jugend etwas Seltsames begegnet.
Er hatte sich einst auf der Jagd verstiegen, war in eine öde Felsenwüste gekommen. Immer weißer gleißten die Gletscher, immer lauter brüllten die Wasserfälle, immer näher rückten die Abgründe, immer beklommener ward es dem König ums Herz. Er nahm sein Horn und stieß einen hellen klagenden Hilfeschrei aus. Da verwandelte sich der Fels, auf dem er hing; er stand nun auf einer samtgrünen Matte, die übersäet war mit leuchtenden Blumen, himmelfarbenen, rosenroten und milchweißen, wie er seiner Lebtag nichts ähnliches gesehen. Darüber vergaß er aller Angst und bückte sich, um seiner schönen jungen Königin, die daheim mit dem Grützbrei auf ihn wartete (denn es war noch in der guten alten Zeit, wo auch die Könige Grütze aßen), einen seltnen Strauß zu bringen. Aber im Bücken erstarrten seine Glieder, seine Füße wurzelten fest, eisige Kälte durchfröstelte sein Blut. Der Gipfel des Schneebergs über ihm hatte auf einmal ein riesiges Antlitz bekommen, ein Paar gewaltiger Augen funkelten ihm aus den Spalten entgegen, und der Wind zischte ihm Worte zu, verständliche Worte. »Wer bist du Zwerg? und wer rief dich in Bergkönigs Gebiet? in Bergkönigs Garten?«
»Ich bin ein König wie du,« sprach der Gefangene stolz, Vettern sollten einander mit Achtung begegnen.«
»Du ein Könige nicht übel!« und der trotzige Riese lachte, daß es in allen Schluchten und an allen Felskanten donnerte, krachte und widerhallte, »nicht übel! Freilich nur ein König des armseligen Ameisenvolks, das seine Nester überall hin zu kleben versucht und unser altes Erbe über und über mit ewig krabbelndem Gewimmel bedeckt.«
»Ich bin ein Mensch,« sagte der König beleidigt, »ich habe ein Schloß mit dreizehn hohen Türmen und kein Nest. Ameisen kenn ich wohl! Du unterschätzest uns, weil wir kleiner sind als du, aber wir haben es hier! hier!« sagte der junge König und tippte sich selbstbewußt auf die glatte weiße Jünglingsstirn.
Da lachte der Riese noch lauter und gellender, und der König hätte sich gern die Ohren zugehalten, nur fand er es gegen den Anstand.
»Wohl; wenn du soviel Selbstvertrauen hast, brauche deinen Witz, finde dich ins Tal, ich halte dich nicht länger,« sprach der Berggeist.
Ja, ja! aber es gähnten ihm rechts und links blaugrüne Abgründe entgegen, seine Füße waren frei, aber sie bebten im Schwindel; verschwanden war der Garten mit seinen Blumen; das Riesenhaupt selbst, das ihn mit Grauen erfüllt, verschwamm im Nebel, und ganz einsam ward es und atemlos still.
»Hilfe! zu Hilfe!« schrie der Verirrte, von Todesangst gepackt. »Spring herab! ich fange dich, fange dich auf!« lispelte eine feine Stimme, und ein Quellwasser, das er bis dahin nicht bemerkt, blinkte verlockend wenige Schritte unter der Zacke, auf der er stand. Da faßte er wieder Mut, wagte es und sprang in das Quellbett, aber er fühlte kein Wasser und keine Kälte, sondern glitt so schnell und leicht abwärts wie auf Schneeschuhen oder auf dem Rücken einer glatten, glanzschuppigen Schlange.
Als er von fern die dreizehn Türme seines Schlosses erblickte, ward er wieder völlig er selbst, und huldvoll sprach er: »Du königstreues Bächlein, dich will ich fürstlich lohnen zum Dank für deinen Dienst. In eine rosenrote Marmorschale will ich dein Wasser sammeln, oder begehrst du lieber eine milchgrüne?« Und gnädig wandte er sich rückwärts. Hätte er nur das nicht getan! Denn voll Schrecken erkannte er, daß es wirklich eine schuppige Schlange gewesen, die ihn getragen hatte, eben glitt er über den Kopf hinab auf seine Füße. Und o, schlimmere Überraschung, es war des Berggeists Stimme, die ihm aus dem mächtig bezahnten Rachen entgegenrief:
»Es wäre töricht, auf Dankbarkeit zu rechnen bei eurem Geschlecht, den Dank hol ich mir selber, wenn dein Töchterlein zwanzig Jahr alt ist. Möcht's einmal in der Nähe sehen, wie so ein kleines Gewürm geht und steht und den Mund auftut.«
Der König zitterte bei der bösen Drohung. Wieder sah er sich überlistet, und noch dazu von einem, der da! da! (er tippte sich in Gedanken wieder aus die Stirn,) so unendlich hohl, plump und arm gegen ihn selber war. Er tröstete sich einzig mit dem Gedanken, daß er in neunzehn Jahren, die bis zu jenem schlimmen Tage noch verstreichen mußten, wohl da! da! ein Mittel finden würde, um den unverschämten Riesen mit Schanden abfahren zu lassen. Der aber schien seine Gedanken bis ins kleinste erraten zu haben, denn als sie vor dem Schloßtor standen, sprach die Schlange: »Ich fordere kein Versprechen, sondern weiß ein Mittel, dir die Mühe des Wortgebens und Wortbrechens zu ersparen, gib acht!« Alsobald schlüpfte aus dem Munde des Ungeheuers ein kleines zierliches Schlängelchen, ungefähr von Daumesdicke, das nickte schlau mit dem silbrigen Köpfchen und machte sich hurtig hinter dem entsetzten König her, der sich zum drittenmal geschlagen sah.
Seine junge Königin kam ihm in Tränen entgegen, so schwer hatte sein Ausbleiben sie geängstigt; und sogleich beschloß er, sein Abenteuer zu verheimlichen, einmal, weil er sie noch mehr zu erschrecken fürchtete, dann aber auch, weil er fühlte, daß seine Rolle bei diesen Vorgängen keine ruhmwürdige gewesen und daß die Mitteilung seinem Ansehen nicht eben förderlich sein möchte. Ein eigener Umstand kam seinem Entschlusse zu Hilfe. Wohl hatte er mit Grauen bemerkt, wie das Schlänglein unter die Wiege seines kleinen Kindes gekrochen war, aber niemand sonst schien das unheimliche Geschöpf an dieser Stelle wahrzunehmen, weder die Mutter noch die Wärterinnen, so daß der König sich oft ängstlich die Augen rieb, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume. Aber er sah immer dasselbe. Die Jahre vergingen, und das Kind wuchs heran, aber neben ihm wuchs die Schlange, nur in dreifachem Maße. Sie war des Kindes ständige Begleiterin, lag, wenn es schlief, friedlich zusammengerollt neben ihm, aber die glänzenden gläsernen Augen schliefen niemals. Kein Auge als des Königs sah ihr Wachsen und Schwellen, das ihn Tag für Tag an die näherrückende Gefahr erinnerte, und das schreckliche Geheimnis drückte ihn oft so schwer in schlaflosen Nächten, als läge das ganze Gewicht der Schlange auf seiner Brust.
Indessen wuchs die junge Prinzessin unter so seltsamer Bewachung zu großer Schönheit und Kraft empor. Sie hieß im Lande: ,«die Glückliche«, denn keine Krankheit befiel sie, kein Unfall traf sie, aus drohenden Gefahren ward sie auf rätselhafte Art gerettet.
Bald erscholl der Ruf ihrer Klugheit und Schönheit über alle Lande, und als die Prinzessin achtzehn Jahre alt geworden, trat der Prinz aus dem Nachbarreiche eine lustige Brautfahrt an, die vor dem Schloß der schönen Sigune enden sollte. Da aber geschah etwas Schreckliches. Die Schlange, die bis dahin niemand als dem Könige sichtbar gewesen, lag plötzlich, ein Entsetzen für alle Augen, in ungeheurer Größe vor dem Tor der Burg, dehnte und reckte ihre gewaltigen Windungen und ließ ihre Silberschuppen in der Sonne spielen. Da überlegte der König im beklommenen Herzen, ob er nicht lieber seiner Tochter und ihrem Freier alles entdecken solle; aber es schien ihm hinwiederum zu spät für eine solche Eröffnung, und er konnte nicht aufhören, auf Rettung seines Kindes zu hoffen. So schwieg er abermals, erklärte mit zuversichtlicher Miene, das friedlich daliegende Ungeheuer sei Sigunens Schutzgeist und machte Anstalt, seine Tochter mit dem Nachbarprinzen zu verloben.
Ruhig sah die Schlange die Vorbereitungen mit an, eben so ruhig die Prinzessin, von der man nicht erfahren konnte, ob sie dem Freier gewogen sei oder nicht.
Als aber der festliche Tag da war, der Prunksaal von hohen Gästen strahlte und der junge Prinz mit siegbewußter Freude und glänzendem Gefolge auf Sigune zugeschritten kam, da sahen alle mit Schaudern, daß die schreckliche Silberschlange den Schweif des Festzuges bildete, und als der Jüngling sich zu seiner schönen Braut neigte und ihr den Ring anstecken wollte, tat das Ungetüm einen weiten Satz nach vorn, riß den zahnstarrenden Rachen auf und verschlang den Bräutigam, ehe sich noch ein Finger zu seiner Rettung erheben konnte. Das war denn doch selbst für eine Prinzessin zu stark: sie fiel in Ohnmacht und mit ihr sämtliche Damen des Hofes, indes der König wie versteinert in die zornfunkelnden Augen des Tieres starrte, das niemand anzugreifen wagte, nicht einmal an der äußersten Schwanzspitze.
Von diesem Augenblick an nannte man die Schlange den Reichsfeind, und der bekümmerte König ließ überall bekannt machen, daß, wer ihn besiege, sein Schwiegersohn werden solle; sehr zum Ärger der Prinzessin, der solche Verfügung über ihre Hand Schmach und Erniedrigung dünkte. So kam es denn auch, daß sie alles Interesse an ihren Bewerbern verlor, da nicht der Wunsch, sie zu gewinnen, weil sie ihren Wert kannten, sondern Abenteuersucht und Ruhmbegier die meisten in ihres Vaters Reich lockte; und weil sie sicher war, zu rechter Zeit die Schlange mit dem grundlosen Rachen den Beschluß machen zu sehen, so ließ sie sich gleichmütig heute einen blonden und morgen einen schwarzhaarigen Freier vorführen und hatte kein andres Gefühl mehr für sie, als kalte Neugier, die nur erwartete, unter welchen besonderen Umständen ihre Vertilgung stattfinden werde, und ob nach längerem oder kürzerem Werben. Ihre Eltern aber und das Land trauerten tief über das Unheil, und Sigune ward nun nicht mehr die Glückliche genannt.
Da geschah es, daß unser Hans Tapp ins Mus seine gewichtigen Wanderschritte nach dem trauernden Lande lenkte, und obgleich seine erste Erfahrung mit der Geisterwelt keine sehr angenehme gewesen, klopfte er sich wohlgemut auf den Magen, als auf sein zuverlässigstes Organ und rief voll Selbstvertrauen: »Sei munter, tapferer Hans! Dies ist die Gelegenheit! Nun wirst du endlich doch noch König. Hurra! höger rup!«
Und dann stärkte er sich herzhaft hinter Schüssel und Flasche, pflückte aus dem Krautgarten seines Wirtes zwei stattliche Sonnenblumen, von denen er eine als goldne Kokarde an seinen Hut, die andre auf sein Wams pflanzte, faßte den nägelbeschlagenen Knotenstock derb mit der Faust und trat kurzfertig in die goldene Halle des Königs als Bewerber um sein schönes Töchterlein. Als Sigune aber den protzigen Lümmel mit seinem runden Flachskopf und seinen Sonnenblumen auf dicken Bauernschuhen daherstaken sah, hielt sie sich vor Lachen das Taschentuch fest auf den Mund, so daß Hans sich teilnehmend erkundigte, ob sie Zahnreißen habe und ihr ein Hausmittel seiner Großmutter anempfahl. Da aber lachte sie ihm offen ins Gesicht und bekannte, daß sie noch nie seinesgleichen gesehen, was Hans bescheidentlich als eine gar zu große Schmeichelei abwehrte. So hochmütig sie sich aber auch benahm, sie konnte ihm den Versuch, ihr Gemahl zu werden, nicht verweigern, hoffte aber fester als je auf den Zorn der Schlange, die so viele annehmbare Bewerber ohne Sang und Klang beseitigt hatte.
Ja, so sehr wünschte sie, von des biederen Hansen Gegenwart befreit zu werden, daß sie sofort ihren Vater sein Jawort geben und den Verlobungsring herbeibringen ließ, ohne einen Augenblick Aufenthalt. Und sogleich auch wälzte sich in den Saal lautlos und schimmernd die gefürchtete Schlange, und viel Volks strömte hinterdrein, obgleich es dies Schauspiel Tag für Tag sich hatte wiederholen sehen.
Und wie jedesmal vorher bäumte sich beim Erfunkeln des Verlobungsringes der Kopf des Untiers hinter dem ahnungslosen Todeskandidaten empor, der denn auch wie seine Vorgänger lautlos zwischen den weißen Zahnreihen verschwand. Nein, -- nicht ganz verschwand! Der Rachen blieb klaffend, und Hansens Kopf erschien auf einmal wieder. Ein ungeheurer vielstimmiger Schrei der Überraschung und Freude durchschütterte den Saal. Hans war mit seinen Nagelschuhen zwischen den Zähnen des Tieres hängen geblieben und arbeitete sich nun mit einem Rucke los, schwang sich kräftig an dem Oberkiefer empor, und -- trat dem Ungeheuer mit aller Gewalt auf die Nase, so daß es einen donnerähnlichen Nieser ertönen ließ. Sprachlos wendete sich die Prinzessin ab, das Volk umher jauchzte laut und schrie dem Hans zu, seinen Vorteil nachdrücklich wahrzunehmen. Da stellte sich der Unerschrockene breitbeinig vor die Schlange und schrie mit aller Kraft seiner Lunge: »Bekennst du dich besiegt?« Auf diese Frage ertönte ein zweites Niesen, dieses Mal so stark, daß alle Spiegel im Schlosse an zu klirren, alle Glocken an zu läuten und alle Instrumente an zu spielen fingen, und in diese Musik hinein ertönte der allgemeine Jubelruf: »Es hat geniest, und niesen bedeutet ja!« Die Schlange aber zog sich ein Stückchen rückwärts, beschämt wie ein Löwe, der seinen Sprung verfehlt hat. Wie nun Hans die Thronstufen der Prinzessin erklomm und sie ihn mit ihren stolzen Augen niederblitzen wollte, raunte ihr der Vater voll bleicher Angst ins Ohr: »Du mußt ihn nehmen, Kind, in wenig Tagen bist du zwanzig Jahr alt, -- ein furchtbares Schicksal ist dir bestimmt -- vielleicht wird dieser uns retten von Tod und Verderben« -- --
Da merkte Sigune, daß ihr Vater wußte, was ihr selbst verborgen war und trachtete, Ausschub zu gewinnen. Sie stellte sich gleichmütig gegen den Sieger und sprach: »So mögt Ihr mir den Brautkuß küssen.«
»Ihr sollt mich nicht umsonst gebeten haben, stolze Dame, mit Freuden tu ich's!« rief Hans Tapp ins Mus begeistert, »höger rup! höger rup!« und er dehnte und streckte sich gewaltig. Aber es langte nicht, er konnte die Prinzessin nicht erreichen und küßte nur immer in die leere Luft.
Das nahm er fast übel. »Ich glaube, Ihr seid scherzhaft, Jungfer Braut,« rief er betreten, »aber ich will's schon machen, höger rup!« Und er streckte sich, so gut er konnte.
Könnt Ihr noch nicht anlangen, guter Hans?« spöttelte die Prinzessin, »ist mir leid, kommt aber, scheint's, vom Standesunterschied. »
»Alles ausgeglichen durch meine Heldentat!« und Hans erhob seinen nägelbeschlagenen Absatz.
Da ward die Prinzessin rot vor Unwillen. »Noch nicht ganz ausgeglichen, wie Ihr seht! Und so leid mir's tut, muß ich dennoch auf Eure liebwerte Person verzichten, falls Ihr mich nicht zu küssen vermögt.«
»Den Kummer möcht ich Euch nicht antun,« erwiderte der Unerschütterliche, »auch werdet Ihr Rat wissen, Ihr schaut mir wie ein schlaues Frauenzimmer aus.«
»Großen Dank für die gute Meinung,« sprach die Prinzessin verächtlich, »und Rat wüßt ich wohl. Wenn Ihr zu meiner Höhe aufreichen wollt,« sagte sie weiter, und ihre Augen blitzten so kalt und tief wie dunkle edle Steine, »so müßt Ihr ein frisches Menschenherz unter Eure Füße legen; wenn Ihr das erfüllt, dann » -- »Weiter nichts?« rief Hans, »weiter nichts? Ei, da werd ich bald Euer herzliebster Herr und Gemahl und dazu der König dieses guten Landes sein! Übermorgen, wenn die Sonne untergeht, bin ich wieder zur Stelle.«
Und ohne zärtlichen Abschied schritt er von dannen und wanderte, wanderte, bis er in seine Heimat kam, und fast außer Atem trat er in das Hüttchen der Heideschäfersfife.
Wie ihm das gute Mädchen entgegenflog! »Hans, Hans,« rief sie mit tausend Tränen, »bist du endlich zu der armen Fife gekommen!«
»Jawohl!« sagte er freundlich und ließ sich küssen und herzen, »ich habe eine Bitte, Fife.«
»Ich weiß wohl, was es ist,« flüsterte das Mädchen in verschämter Glückseligkeit, »du bist gekommen, um mich endlich heimzuführen.«
»Nein,« sagte er unbefangen, »das werd ich schön bleiben lassen. Ich kann eine Prinzessin bekommen, es ist so weit. Aber du bist immer eine treue Seele gewesen, ja, ich weiß es, Fife, weine nur nicht, und da dachte ich, du würdest mir gern einen kleinen Dienst leisten, von wegen unsrer alten Freundschaft.«
Und nun rückte er heraus mit seinem Anliegen.
»Wenn du dein Herz doch einmal mir geschenkt hast,« sprach er väterlich, »was ist es dann dir noch nutz? ich aber kann dadurch König werden.«
Da gab die arme Fife ihr blutendes Herz hin, ... und Hans eilte mit Siebenmeilenschritten zu der Prinzessin, warf das blutende Herz vor ihrem Thron auf den Boden, trat darauf und wollte Sigune umfangen, denn sie waren nun von gleicher Größe. Das zertretene Herz aber klagte leise, und als die Prinzessin das hörte und sah, wie er ihren Willen erfüllt hatte, da stieg ihr der Widerwille und Abscheu über den Kopf, und mit einem Ruck ihrer schlanken Hand schleuderte sie ihn von sich und rief:
»Eine Versuchung war's, und du bist ihr unterlegen; für Glanz und Herrschaft hast du ein warmes Menschenherz zertreten; du bist kein Held! ein Held hätte nimmer solchem Gebot gehorcht. Niemals sollst du mein Angesicht wiedersehen!«
Dann wandte sie sich zu ihrem Vater und rief, während ihre Augen immer kältere Strahlen schossen und ihre Gestalt sich immer stolzer emporreckte: »Was hat dich geplagt, mein Vater, daß du mir das Geheimnis verbargst? Mir, die es angeht? Nun hat die Schlange mir alles offenbart, auch wie der mächtige Geist so treu um mich bemüht gewesen. Meinetwegen hätte nicht eins der schmucken Bürschlein sein Leben verlieren dürfen! Die Sorge war umsonst, freiwillig geh ich zum Berggeist!«
Da rauschte es über den dreizehn Türmen des Schlosses, ein Sturm hob das Dach der Halle empor, und ein Riesenhaupt wie eine Wolke verdunkelte das Blau des Himmels.
»Siehst du, Zwergenkönig,« höhnte die trotzige Stimme, »wir wissen, was wir tun, wenn wir neunzehn Jahre warten!«
Und er fing die Prinzessin wie ein Sonnenstäubchen, setzte sie sich in den Bart und brummelte zufrieden: »Da sitze und da krabble nun, bist ein wackres Silberläuschen. Hast es auch da! da! Ganz wie dein Herr Vater, da! da! ha! ha!«
Und langsam verschwand er im Nebel, indes das wilde Lachen noch forthallte und das Dach sich langsam, langsam senkte.
Vergebens bot der König seine Mannen auf, vergebens raufte die Königin ihr Haar,« Sigune kam niemals wieder. Aber immer noch tappt Hans durch die Welt auf der Suche nach seinem Königreich, und noch immer liegt das arme zertretene Herz im Staube.
* Unterirdischen
Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, 2. Auflage 1908, S. 35ff.